01.02.09 – Halbe Wahrheiten und ganze Lügen


Halbe Wahrheiten und ganze Lügen
Zur neuesten Katastrophe des Kapitalismus,
dem Versagen der Linken und dem Dilemma des Antifaschismus

„Es gibt Sachen die sind so falsch, dass nicht einmal ihr Gegenteil richtig wäre.“ (Karl Kraus)

Am 14.1.2008 fand in Frankfurt im Vorfeld der hessischen Landtagswahl eine – von uns mit initiierte – Demonstration der mehr oder weniger explizit außerparlamentarischen Linken statt, an der sich rund 2000 Menschen beteiligten (Aufruf). Thema war die Kritik an der deutschen Einwanderungspolitik, der Flughafenausbau, Sozialabbau und Sicherheitswahn sowie in Teilen die Frage einer antikapitalistischen Perspektive gegen den Standort Deutschland. Eigentlich also eine ziemlich vernünftige Sache, könnte mensch meinen.

Da aber die rechtsradikale Hamas, die faktische Regierungsmacht des Gazastreifen, in den letzten Jahren immer wieder Raketen auf Israel abfeuerte und der israelische Staat darauf Ende Dezember dann mit einer groß angelegten Militäroperation und massivem Beschuss des Gaza-Streifens antwortete, kam es schon im Vorfeld der Demo zu heftigen Diskussionen und auch am 14.1. selbst gab es Auseinandersetzungen um einen wachsweichen Bündniskonsens, extrem einseitige Redebeiträge und gegen alle Absprachen gebildete „Pro-Palästinablöcke“. Der genaue Hergang ist hier zu erfahren, für eine Positionierung dazu jedoch nicht weiter von Bedeutung. Nur soviel: Die nachträglich vom „Palästinablock“ formulierte Version ihres Vorgehens entspricht nicht der Wahrheit.

Da von Teilen der Pro-Palästinensischen Fraktion (maßgeblich bestehend aus prominenten Vertretern der Anti-Nazi-Koordination, zusammen e.V./ Alerta Frankfurt, Die Linke.SDS sowie der Initiative zum Aufbau der 3. Reihe) das Definitionsmonopol über linke bzw. linksradikale Ansätze für sich reklamiert, dabei eine einseitige Stellungnahme gegen Israel bzw. die „israelische Aggression“ eingefordert und das ganze dann noch zu einer Frage des Antifaschismus umgebogen wurde, im Folgenden unsere Stellungnahme hierzu.

Weil der Streit uns als ein Grundsätzlicher in der Linken erscheint, geht sie notwendigerweise über den unmittelbaren Streitpunkt (den Gazakrieg) hinaus. Da von Seiten der antiisraelischen Linken in diesem Konflikt versucht wurde, Argumente weitgehend durch Meinungsstärke zu ersetzen, machen wir dagegen noch einmal den Versuch, linksradikale Kritik und Praxis aus unserer Perspektive zu bestimmen und dann unsere Stellungnahme zur Frankfurter Diskussion über die 14.1. Demo und den Gazakrieg damit in Beziehung zu setzen. Eine Stellungnahme von uns zur sogenannten „Friedensbewegung“ und deren Demos mit Hamas und Hisbollah gibt es hier

Grundsätzliches 2.0.

1. …ums Ganze. Der globale Kapitalismus ist eine allen vernünftigen Zwecken spottende Veranstaltung. Er ist voll von Katastrophen, Elend und einsamer Verzweiflung. Anstatt dass die Menschen ihre Reproduktion vernünftig und miteinander regeln, basiert er auf der gewalttätigen Konkurrenz aller gegen alle und produziert so jeden Tag humanitäre Katastrophen. Als KommunistInnen, denen es daher und dagegen ums Ganze geht, wollen wir diese Veranstaltung beenden und durch eine Gesellschaft der Freien und Gleichen ersetzen. Ganz verrückt ist das nicht, weil es schon lange möglich ist. Total verrückt sind vielmehr diejenigen, die auf Teufel komm raus am schlechten Bestehenden festhalten wollen. Um dem Kommunismus1 näher zu kommen arbeiten wir mit unseren bescheidenen Mitteln mit an einer Neuformulierung linker Theorie und Praxis, die versucht, gescheiterte Konzepte und alte Fehler, die dankenswerterweise von anderen Linken schon vor uns gemacht wurden, nicht ständig zu wiederholen. Dazu bedarf es der Kritik und der inhaltlichen Verständigung über das linksradikale Projekt. Denn:

Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat.
(Karl Marx, 18. Brumaire)

2. Imperialism is everywhere. Der Staat ist im Kapitalismus eine notwendige Einrichtung, weil nur er mit seinem Gewaltmonopol die Bedingungen für bürgerliche Rechtsgleichheit und damit für eine florierende Konkurrenz schafft. Auf dem Weltmarkt konkurriert er mit anderen Staaten um die erfolgreichste Anhäufung von Kapital. Davon hängt über Steuern schließlich seine eigene Handlungsfähigkeit – Bau von Infrastruktur, Sozialhilfe etc. – ab. Da es im globalen Maßstab kein Gewaltmonopol gibt und unter kapitalistischen Bedingungen auch nicht geben kann (auch die UNO scheitert, wenn es drauf ankommt, in ihrer Moderatorinnenfunktion zwangsläufig an den Einzelinteressen der Staaten), versucht der Staat, mit allen möglichen Mitteln – z.B. Betrug, militärischer Gewalt, Erpressung – die er selbst seinen Bürgern in der Regel verbietet, in der globalen Konkurrenz Vorteile zu ergattern. Den Titel des „Imperialisten“ verdient sich ein Staat dabei, wenn er durch eine erfolgreiche Akkumulation von Kapital und entsprechende militärische Mittel andere zwingen kann, zu seinen Bedingungen Geschäfte mit ihm zu machen. Weil das angenehmer ist als gezwungen zu werden, hat jede Regierung und jedeR verantwortungsbewusste StaatsbürgerIn (aka ganz normaleR NationalistIn), der nicht seinen eigenen Laden in Gefahr bringen will – egal ob im Iran, den USA, der EU, Israel, Venezuela, Palästina oder China – das Ziel, „imperialistisch“ zu werden. „Antiimperialistischer Staat“ ist daher nur ein anderes Wort für Anfänger oder Loser.

3. Warzone capitalism. Wer Staat und Nation will darf sich über den Krieg nicht beschweren. Krieg ist tatsächlich die Fortsetzung der staatlichen Politik, d.h. der möglichst erfolgreichen Moderation von Interessen und Kompetenzen im kapitalistischen Wettbewerb, mit allen Mitteln. Sobald Menschen sich zum Staat zusammenschließen (meistens schon damit, sich zusammenschließen zu können), ist Krieg eine Option, nationale Interessen gegen andere Staaten durchzusetzen. Wer also für die Freiheit der „Völker“ und „nationale Befreiungen“ eintritt, sollte nicht überrascht tun, wenn die zum Staat gewordenen Bewegungen sich dann im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch kriegerischer Mittel bedienen. Krieg ist das letzte Mittel, um staatliche Souveränität, also die Verfügungsmacht über Leben und Tod, in der kapitalistischen Weltkonkurrenz durchzusetzen. Kriege lösen also keine Probleme des Kapitalismus, sondern sind ein Ausdruck der notwendigen Konflikte seines Staatensystems. Sie führen zu weiterem Leid und einer Brutalisierung der Gessellschaft. Das ist nicht nur bei der NATO, sondern überall so und wird auch bei einem Basken-, Tamilen- oder Palästinenserstaat nicht anders sein. Wer das zu Recht unmenschlich findet, sollte sich an die Abschaffung des Staatensystems machen, anstatt gegen jede historische Erfahrung immer wieder so zu tun, als wäre das eine (Staat und Nation) ohne das andere (Krieg) zu haben.

4. Das Gegenteil von gut. Diese alltäglichen Zustände geben sich im Kapitalismus leider nicht direkt als solche zu erkennen. Das Bewusstsein seiner Insassen – nicht zuletzt derjenigen, die, wie die meisten Lohnabhängigen, außer ihrer Arbeitskraft nichts zu verkaufen haben – gehört als ideologischer Reflex zu den Verhältnissen dazu und sorgt für deren Reproduktion. Die Idee, dass etwa die „raffgierigen“ Manager an der Misere Schuld wären, ist nahe liegend, aber falsch. Ähnlich verhält es sich mit dem, was (nicht nur) die evangelische Kirche „ethische Verantwortung“ oder „Moral“ nennt. Die verständliche Empörung über die neueste humanitäre Katastrophe und die letzte Schweinerei lenkt vom allgemeinen Saustall ab. Der regelmäßige moralische Appell, „jetzt aber wirklich“ etwas tun zu müssen, entpuppt sich als der eigentliche Zynismus, weil er die systematische Produktion von Katastrophen als die Geschäftsgrundlage seines eigenen Empörungsmanagements stillschweigend akzeptiert. Insbesondere wenn er versucht, ganz besondere Bösewichte auszumachen und damit die ganz normalen Bösewichte hinter jenen verschwinden lässt. Das ist dann keine bloß „verkürzte Kritik“ an der Gesellschaft, sondern deren integraler Bestandteil und damit ein Teil des Problems, der außer dem Gewissen mancher Gefühlslinken nichts besser und vieles schlimmer macht – selbst wenn es noch so gut gemeint ist. Kommunistische Kritik kann dagegen nur sagen, was nicht dafür spricht. Für konstruktive Projekte steht sie im Angesicht des aktuellen Irrsinns nicht zu Verfügung.

5. Das Spiel und die Spieler. Natürlich geschieht das Schlechte auch im Kapitalismus nicht von allein. Schwachsinn muss gedacht und Unsinn gemacht werden. Durch die Anprangerung von bestimmten Übel (jener Flughafenausbau, dieser Krieg, das Gesetz, der Koch etc.) lässt sich daher zwar manchmal konkrete – und allzu oft bitter notwendige – Abhilfe schaffen; wer aber so tut, als ließe sich die Notwendigkeit des Übels der mit allen Mitteln betriebenen Standortpolitik in dieser Gesellschaft damit schrittweise überwinden, verarscht bestenfalls nur sich selbst. 200 Jahre Reformismus haben gezeigt, dass das eben nicht geht und der Sieg von heute die Niederlage von morgen oder zumindest die der Anderen (z.B. durch Auffanglager in Afrika) ist. Schrittweise Verbesserungen, wie z.B. soziale und demokratische Rechte haben ihre kapitalistische Reproduzierbarkeit – d.h. die Logik von Staat und Markt, also im Zweifelsfall ihre eigene Aufhebung – zur notwendigen Voraussetzung. Somit kann auch mit linker Politik höchstens das wie, nie das ob der Anpassung an die Erfordernisse des Weltmarktes Gegenstand der Debatte sein. Soziale Kämpfe sind aus kommunistischer Perspektive daher weniger wegen ihres Ergebnisses interessant, sondern weil es hier gelingen kann, Leute auf das Problem Kapitalismus zu stoßen, sie für emanzipatorische Theorie und Praxis zu interessieren und bestenfalls organisatorisch einzubinden. Diese Erkenntnis unterscheidet eine undogmatische, radikale Linke von all den Sozialdemokraten unterschiedlichster Provenienz.

6. Abholen? Hinbringen? Selbermachen. Weil die Leute dem Kapitalismus – spätestens, seit dem die Arbeiterbewegung sich in ihn hinein gekämpft hat – nicht äußerlich gegenüber stehen, sondern Staat, Nation und Kapital richtigerweise als die Bedingungen ihrer physischen und ideologischen Existenz bzw. persönlichen Identität (und sei sie noch so prekär) ansehen, gibt es weder ein privilegiertes Subjekt, dessen „eigentliches Interesse“ grundsätzlicher Veränderung wäre, noch einen prädestinierten Ort hierfür. Daraus folgt, dass die Befreiung der Unterdrückten häufig gegen eben diese gefordert werden muss. Hieße Befreiung unter diesen Umständen doch nicht zuletzt die Befreiung von der Herrschaft der eigenen Rolle als ArbeiterIn, StudentIn, Mann/Frau, etc. pp. Dass es Menschen schlecht geht, sagt folglich erst mal nicht mehr, als dass es ihnen eben schlecht geht. Die Geschichte hat gezeigt, dass man die Leute nicht dadurch auf die richtige (also die zumindest an Emanzipation interessierte) Seite bringt, indem man sie abholt oder als Opfer verehrt. Vielmehr kann mensch den Leuten Angebote machen und sie in ihren Interessen und Äußerungen ernst nehmen. Das heißt allerdings, sie meistens kritisieren zu müssen. Wer paternalistisches Verständnis für die ideologische Verbohrtheit der Massen aufbringt, hilft niemandem – außer vielleicht seinem eigenen guten Gewissen. Politische Solidarität gilt daher nie „den Opfern“, sondern denen, die etwas Besseres, z.B. das Ende der Produktion von Opfern und nicht nur den Austausch der Opfergruppen, wollen. Opfer als bloße Opfer sind das Objekt von Mitleid und humanitärer Hilfe – nicht politischer Solidarität.

Antifaschismus heißt…

7. Zumutung. Antifaschismus meint vor diesem Hintergrund, die bürgerliche Gesellschaft vor ihren eigenen Geschöpfen (Nazis, RechtspopulistInnen, IslamistInnen oder anderen religiösen Fundamentalisten, etc.) in Schutz zu nehmen und sich für die gleichberechtigte Teilnahme aller an der kapitalistischen Ausbeutung einzusetzen. Linksradikale tun dies, weil eine liberale kapitalistische Gesellschaft immerhin die – allerdings nur formalen – Bedingungen der Emanzipation bereitstellt. Grundrechte werden in ihr, wenigstens dem Ideal zufolge, nicht von metaphysischen Konstruktionen (Volkszugehörigkeit, Nation, Rasse, Geschlecht, Religion) sondern „immerhin“ und „lediglich“ davon abhängig gemacht, in wie fern die Leute zum Reichtum der Nation beitragen „wollen“. Dass auch in diesem liberalen Normalvollzug systematisch menschliche Bedürfnisse missachtet werden und Menschen massenhaft sterben, ist kein Problem des Antifaschismus. Er eignet sich daher auch nicht zur Anklage aller Schlechtigkeiten und Massaker des Kapitalismus. Insofern ist er für radikale Linke eine notwendige Zumutung: Er ist keine Lösung, sondern nur Problembearbeitung.

8. Not fighting all evil. Die Reflektion des Nationalsozialismus in Deutschland hat den AntifaschistInnen überall den bekannten Auftrag mitgegeben, dass Auschwitz nicht noch einmal sei. Dies schließt in einem richtigerweise weit gefassten Verständnis die Gegnerschaft gegenüber allen Ideologien (z.B. Sexismus, Antisemitismus, Rassismus, etc.) ein, die Menschen zur Annahme reaktionärer und/oder faschistischer Konzepte bringen. Eine klare Antikriegsposition lässt sich aus dem Antifaschismus – siehe Zweiter Weltkrieg – aber ganz sicher nicht folgern. Schließlich geht er von der historischen Erfahrung des Dilemmas aus, dass es etwas Schlimmeres als Krieg schon gegeben hat. Wer etwas gegen irgendwelche Kriege machen will, sollte dafür also nicht den Antifaschismus (oder den Antirassismus) missbrauchen, sondern muss sich schon um eine eigene Begründung bemühen. Eine kommunistische Kritik würde sich da (s.O.) vielmehr anbieten.

9. Universal. Da Antifaschismus eine unumgängliche Zumutung für radikale Linke ist, sollte er wenigstens richtig gemacht werden. Das heißt, er orientiert sich nicht an Strafgesetzbuch oder demokratischen Wahlen, sondern daran, irrationale Ideologien im Bewusstsein der Verbrechen, zu denen sie fähig sind, mit allen notwendigen Mitteln – also auch militant – zu bekämpfen. Daher macht Antifaschismus natürlich nicht vor Ländergrenzen halt. Ihm ist es mithin auch vollkommen wurscht, ob die NPD oder die Hamas demokratisch gewählt wurden. Darüber hinaus lässt er es nicht zu, eine reaktionäre Ideologie gegen eine andere auszuspielen. Vor die Wahl gestellt, Rassismus oder Islamismus, Antisemitismus oder Nationalismus zu bekämpfen entscheidet er sich immer für beides. Friedensdemos mit der Hamas und ihren SymphatisantInnen oder Anti-Hartz IV-Demos mit Autonomen Nationalisten sind mit ihm nicht zu machen. Querfrontansätze können nicht gedultet, sondern müssen bekämpft werden.

10. Selber erfolgreich sein. Das Kriterium des Antifaschismus ist der Erfolg in der Praxis. Daher schert es ihn nicht, was das Staatspersonal blubbert: Er weiß, dass er sich ohnehin nicht darauf verlassen kann. Da das erste Kriterium des Staates doch (s.o.) die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Geschäftsbedingungen ist, verlässt der Antifaschismus sich nicht auf ihn und fordert weder ein NPD-Verbot (wie die Anti-Nazi-Koordination oder Horst Seehofer) noch vertraut er den westlichen Staaten und ihrem Militarismus, dass sie den Kampf gegen den islamistischen Terror richtig führen wollen und könnten. Für „antideutschen“ Bellizismus (Kriegsbegeisterung) gibt es gar keinen Anlass. Auch die Nato-Staaten verteidigen nicht „Aufklärung“ und „Menschenrechte“, sondern zu aller Erst ihre eigenen kapitalistischen Interessen. Um erfolgreich zu sein, vertraut der Antifaschismus dagegen nur sich selbst.

Zur Sache

11. Formal Falsch. Vor diesem Hintergrund war der ausgehandelte Kompromiss im 14.1.-Demo-Bündnis ein Fehler. Erstens, weil er das Produkt einer Fehleinschätzung war; nämlich der, die Arroganz der Pro-Palästinensischen Fraktion unterschätzt zu haben. Diese geht offensichtlich davon aus, so sehr im Besitz der Weisheit zu sein, dass sie sich – im Gegensatz zu allen anderen im Bündnis – in ihrem fast schon komisch anmutenden Sendungsbewusstsein nicht einmal an Bündnisabsprachen halten muss, die doch bekanntermaßen immer einen Kompromiss darstellen. Zum Zweiten, weil sich die Erklärung, anstatt die Dinge beim Namen zu nennen, in einer allgemeinen Stellungnahme verlor, die der aktuellen Situation in der Frankfurter Linken und dem moralischen Machtanspruch der Pro-Palästinensischen Faktion nicht gerecht werden konnte. Entweder hätte mensch also feststellen müssen, dass das Demobündnis keine gemeinsame Position vorlegen kann – was der pragmatische und keineswegs neue Umgang in der Linken gewesen wäre – oder es eben doch auf eine Spaltung ankommen lassen müssen.

12. Kein neuer Antiimperialismus. Antiimperialismus konnte – wenn überhaupt – Legitimität als linkes Konzept für sich beanspruchen, als mensch bis zum Zusammenbruch der Sowjetuniom noch irgendwie die Hoffnung haben konnte, dass mit einer Schwächung der westlichen kapitalistischen Staaten (dem Anspruch nach) linke nationale Befreiungsbewegungen und der staatskapitalistische Block im Osten gestärkt würden und so ein nicht näher bestimmter revolutionärer Prozess in Gang kommen würde, der den ganzen Scheiß über den Haufen wirft. Bekanntermaßen ist es anders gekommen. Und wie immer, wenn die Realität die Reflektion überholt, ist ein Festhalten an alten Weltbildern nur um den Preis der Realitätsverweigerung zu haben. Leuten, die sich hierfür entschieden haben, ist mit Argumenten offensichtlich nicht mehr beizukommen: sie wissen sowieso schon vorher, was nachher rauskommen soll. Im Folgenden können wir daher nur Punkte anführen, die allen, die auch mal etwas andere als die „Junge Welt“ lesen, schon lange bekannt sein müssten.

13. Geopolitik für Anfänger. Wer heute noch meint, eine Positionierung allein gegen die USA, die NATO oder Israel reiche noch aus, möchte nicht nur Grundsätzliches über den Staat im Kapitalismus (s.o.) nicht zu Kenntnis nehmen, sondern ignoriert eine veränderte Weltordnung und betätigt sich so faktisch als Möchtegern-Hilfskraft für China, Russland, den Iran und eine Reihe anderer aufstrebender autoritärer Groß- und Mittelmächte. Die Perspektive, dass auch mal andere am Raketenknopf sitzen sollen, hat aber nichts Emanzipatorisches. Damit wird außerdem eine ganze Reihe anderer blutiger Kriege und Konflikte wie z.B. in Sri Lanka, Somalia und dem Sudan ausgespart. Dass dagegen nur bei israelischen Militäraktionen Linke weltweit in Aufregung geraten, ist bezeichnend und verweist auf die Heuchelei der meisten, angeblich so konsequenten, „Antikriegsaktivisten“. Damit sind diese Teile der Linken übrigens keine – wie sie im Gestus des Rebellen gerne behaupten – „Minderheit“, sondern im Einklang mit über 50 Prozent der Deutschen, sowie einem großen Teil der deutschen Medien, die noch beim Kosovokrieg bekanntermaßen nicht halb so kritisch berichteten.

14. Kein Staat wie jeder andere. Israel ist im Krieg nicht besser als andere Staaten. Warum auch? Allerdings ist Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden der einzige, dessen Existenz global von einer relevanten Anzahl von Leuten in Frage gestellt wird. Wohl, weil er als relativ neues Produkt der „Staatengemeinschaft“ allen anderen Staaten ihre genauso auf Gewalt gegründete „künstliche Existenz“ vor Augen führt und damit dem ideologische Bewusstsein auch die eigene Begriffslosigkeit. Erst die Vernichtungsdrohungen von AntisemitInnen und AntizionistInnen auf der ganzen Welt (zuletzt wieder mal vom iranischen Präsidenten) machen Israel zu einem Sonderfall. Wenn es etwas aus der Geschichte zu lernen gibt, dann, dass Antisemiten ernst genommen werden müssen. Wer zu ihren Vernichtungsdrohungen schweigt, der sollte mithin auch zu Israel die Klappe halten. Das gilt ganz besonders für diejenigen, die sich, wie zahlreiche Antiisraelische Demonstranten, deutsche Talkshow-Politiker und auch Sprecher der Frankfurter Antinazikoordination nicht zu schade dafür sind, das aktuelle israelische Vorgehen mit Wehrmachts- und Naziverbrechen zu vergleichen und die damit eine ekelhafte Verharmlosung des Nationalsozialismus betreiben.

15. Beruf Palästinenser. Israel betreibt eine mitunter repressive und im Ergebnis brutale Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Das können Linke kritisieren und viele tun das ja auch den ganzen Tag. Aber diese Tatsachen sind eben nur die halbe Wahrheit und werden so schnell zu einer ganzen Lüge. Denn das autoritäre Regime in Ägypten, die Diktatur in Syrien, die Geschlechterapartheids-Monarchie in Saudi-Arabien und der Tugendterrorstaat Iran benutzen die palästinensische Bevölkerung mindestens ebenso als Spielball, massakrieren bei Bedarf ihre Bevölkerung und haben in unterschiedlichster Besetzung in den letzten vierzig Jahren einen wirklichen Friedensschluss (z.B. durch eine systematische Nichtintegration der palästinensischen Flüchtlinge) immer wieder verhindert. Auch indem z.B. der Iran rechtsradikale Terrorgruppen wie die Hamas mit Waffen aufrüstet. Den Hass auf Israel benutzen alle Regime (nicht nur) der Region, um von ihren sozialen Problemen abzulenken, was von weiten Teilen der Bevölkerung dankend angenommen wird. Letztes Beispiel: Der türkische Premier, der Israel allen Ernstes und öffentlichkeitswirksam die „Tötung von Menschen“ vorgeworfen hat, gleichzeitig aber selbst für das mörderische Vorgehen des türkischen Staates gegen Kurden, Dissidenten,… etc. pp. mit tausenden von Toten verantwortlich ist. Eine glaubhafte linke Position zum Gazakrieg muss sich auch gegen die anti-israelische Alltagsideologie wenden – sonst wird sie, wie ein Großteil der Pro-Palästinensischen Linken ein Teil davon und damit Teil des Problems. Die Lippenbekenntnisse der sogenannten Friedensbwegung „gegen Antisemitismus“ reichen ganz sicher nicht aus. Eine eigene, auch gegen die antiisraelische Ideologie einzumnehmende, linke Positionierung im Konflikt ist mithin keine Frage einer „komplexen Argumentation“ (Zitat Swing) sondern Bedingung für eine „Linke, die dazwischen gehen“ und die dabei noch einen Unterschied zum Besseren machen will. Die Frage ist also nicht Intervention oder nicht, sondern mit welchen Inhalten.

16. Teilweise rechtsradikal? Dass Hamas und Hisbollah Rechtsradikale sind, sie also Frauen brutal unterdrücken, Todesverherrlichung und Militärkult betreiben, individuelle Freiheiten jenseits ihres Ehrenkodexes verachten und Antisemitismus zu ihrer Grundideologie gehört, könnte jeder wissen, der einen Internetzugang besitzt und schon mal etwas von wikipedia gehört hat. Wer für Rechtsradikale Verständnis aufbringt, die israelische Besatzung dafür verantwortlich macht oder gar den „antiimperialistischen Gehalt der Hamas“ anpreist, sollte auch mal jenen der NPD untersuchen und sich fragen, ob es nicht doch die fehlenden Jugendzentren sind, die Neonazis zum „Ausländerklatschen“ zwingen. Genauso gefährlicher Unsinn ist es, wenn ein Sprecher der Anti-Nazi-Koordination sich gegen die „antisemitischen Anteile im Programm der Hamas“ ausspricht (Ist der Teil zum Umweltschutz gut?). Wer aber rechtsradikale Ideologien immer noch als „falsches Bewusstsein“, „falsche Reaktion“ oder „Antikapitalismus der dummen Kerls“ schönredet und nicht als eine bestimmte Weltanschauung zur Krisenlösung des Individuums im Kapitalismus ernst nimmt, für die mensch sich entscheiden kann – oder eben nicht -, wird das nie begreifen. Als AntifaschistIn jedenfalls ist er oder sie nicht mehr ernst zu nehmen.

17. Welche Faschos sind dir lieber? Es stimmt, dass eine Reihe von KulturrassistInnen und RechtspopulistInnen wie „PI NEWS“ oder auch die italienischen PostfaschistInnen auf einen proisraelischen und primär rassistischen Kurs gegen Muslime geschwenkt sind. Davon muss sich die Linke deutlich abgrenzen (was sie ja auch meistens tut). Es ist aber bezeichnend, wenn Leute, die einerseits akribisch die Internetkommentare von rechtspopulistischen Internetseiten durchforsten, andererseits kein Wort zum Antisemitismus und Antizionismus der NPD und den Freien Kameradschaften (Infos dazu z.B. hier und ein Ansichtsexemplar hier2) verlieren und zu dem Anstieg antisemitischer Straftaten und Übergriffe in Europa im direkten Zusammenhang mit dem Gazakrieg schweigen. Wer überdies, wie zumindest ein Teil des Propalästinablocks, erklärte Hamas-Sympatisanten in seinen Reihen duldet bezeugt nur die Heuchelei seines Antifaschimsus. Wo „Antiimperialismus“ gegen Antifaschismus ausgespielt wird, sollte mensch von solchen Antiimperialisten schleunigst Abstand nehmen.

18. Wo stehst du? Mensch kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass weite Teile der Linken angesichts der gut besuchten antiisraelischen Demos hierzulande mal wieder die Chance einer Massenbewegung wittern und darüber alles andere vergessen wollen. Es ist insofern bezeichnend, wenn die Swing einen Artikel abdruckt, der mit einem Zitat des Linksruck-Vordenkers Tony Cliff – „We always stand on the side of the oppressed“ – aufmacht. Dass es Leuten schlecht geht, sagt aber eben noch nichts über ihre Perspektive aus. Und dass im konkreten Fall „der Unterdrücker“ eben nicht nur Israel, sondern in Form der Hamas, der arabischen Staaten und dem Iran (und einer patriarchalen Familienstruktur usw.) um einiges vielfältiger ist, als es die Phrase glauben machen will, wird einfach ignoriert. Mit der bauchlinken Wünschdirwas-Methode, welche die bestehenden Widersprüche hinter brennenden Barrikaden verschwinden lassen will, wird aber ganz sicher nicht nur niemandem geholfen, sondern die Situation noch verschlimmert.

19.Für einen neuen Internationalismus. Da es offensichtlich keinen Sinn macht, sich auf eine der falschen Seiten zu schlagen, wenn der linksradikale Anspruch ist und bleibt, „alle Verhältnisse umzuwerfen in denen der Mensch ein geknechtetes etc. Wesen ist“ (K.M), werden wir auch auf dem Gebiet der internationalen Solidarität „alles selber machen“ müssen. Voraussetzung dafür ist, die schlechte Ausgangslage im weltweiten Hauen und Stechen zur Kenntnis zu nehmen, die veralteten (Anti-) Imperialismuskonzepte in die Tonne zu treten und dagegen auf eine eigene linke Position gegen Militarismus und Fundamentalismus zu setzen. Zwar werden dann alle Träume einer Massenbewegung erst mal wieder begraben werden müssen, der Sache der Emanzipation ist damit aber bestimmt weit mehr geholfen. Nötig wäre also ein neuer Internationalismus, der sich nicht zum Wasserträger dieser oder jener ideologischen Projekte macht, sondern eine eigene fortschrittliche Perspektive erarbeitet. Dafür wird mensch sich zunächst zwar mit kleinen Projekten begnügen müssen, Ansätze für internationalen Austausch und Zusammenarbeit gibt es aber durchaus. Gerade gegenüber einer nach wie vor drohenden militärischen Konfrontation zwischen dem islamistischen Regime im Iran und den Nato-Staaten bieten viele exiliranische Gruppen einen Ansatz im linken Sinne, der auch hier in Frankfurt praktische Solidarität erfordert. Auf deren Kundgebung waren in den letzten Jahren aber nie VertreterInnen der Pro-Palästinensischen Fraktion anzutreffen.

20. Schlusszitat: „Der allumfassende Bürgerkrieg scheidet somit endgültig aus dem Feld der theoretischen und praktischen sozialen Kämpfe aus, dem er doch lange zuzuordnen war. Und das nicht weil er zu radikal wäre, sondern weil es ihm an Radikalität eben mangelt. Der Bürgerkrieg bewegt sich nur noch zwischen der (…) reaktionären Grausamkeit der Nationalismen auf der einen und der Polizeiwillkür des Empire auf der anderen Seite.Dieser Erkenntnis müsste schließlich den Anfang setzten für eine die Widersprüche nicht verwischende pazifistische Politik (…) für eine Politik, die weder gemäßigt sein noch auf Gewalt verzichten kann; das unversöhnliche Beharren auf Autonomie, auf Unabhängigkeit von den Formen der Politik, von der ökonomischen Verwertbarkeit, von den diktatorische Gesetzen des Weltbürgerkrieges. Ein aktives Sich-Entziehen, das unmittelbar auch Gestalt annimmt als Produktion neuer Verhältnisse“ (Elfter September Nulleins 2002; Berlin).

autonome.antifa [f] im Februar 2009

Kommunismus

1 Aus Ermangelung einer Alternativer zur Bennenung einer befreiten Gesellschaft, benutzen wir den Begrif Kommunismus. Die notwendige Orientierung auf die Utopie, als ein, in den kapitalistischen Verhältnissen nicht positiv bestimmbarer und nicht realisierbarer gesellchaftlicher Zustand, drückt sich in der Forderung „Für den Kommunismus“ aus. Eine Forderung, die die Abschaffung der Verhältnisse in denen „der Mensch ein geknechtetes, verächtliches und entfremdetetes Wesen“ (Karl M.) als minimalste inhaltliche Definition enthält. Dies umfaßt eine Abgrenzung vom historischen, sowie aktuell noch bestehenden realexistierenden Sozialismus (aka „Kommunismus“). Materialimsus heißt in diesem Zusammehang die Kritik und Negation der kapitalistischen Vergesellschaftung aus ihr selbst und ihren Widersprüchen heraus zu entwickeln. In diesem Sinne: Für den Kommunismus – Alles andere gabs schon!. zurück zum Text