2008 – Opernballproteste 2005-2007


„Luxus für alle – sonst gibt’s Krawalle!“: diese Parole war, wenn nicht das offizielle Motto, dann doch die, für viele – Teilnehmer, wie Medien und Bullen – auf den Punkt gebrachte, Inhaltsangabe der Demonstrationen anlässlich des deutschen Opernballs in den Jahren 2005 bis 2007 in Frankfurt. Aktionen, die so für Diskussionen und Aufmerksamkeit über den regionalen Rahmen hinaus sorgten und auch ein Kristallisationspunkt für viele grundsätzliche Debatten der radikalen Linken waren. Die Initiative zu diesen Aufläufen kam nicht zuletzt von uns, der autonomen antifa [f].

Für uns waren die Demonstrationen dabei der Versuch, mit symbolischer Praxis Werbung für eine radikale Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes zumachen. Eine Kritik, die folglich nicht an den Symptomen und vermeintlich Schuldigen ansetzt, son- dern die vielmehr ihren Gegenstand trifft; die also den alltäglichen Skandal, dass „Luxus für Alle“ heutzutage möglich ist, doch gerade die Realisierung dieser Möglichkeit durch die Struktur unserer „freien Gesellschaft“ immer wieder verhindert wird, öffentlich macht. Die Forderung war klar: Luxus für alle heißt „Kapitalismus abschaffen!“.

Die vorliegende Broschüre soll die Auseinander- setzungen durch und mit diesem Versuch beispielhaft dokumentieren und zum Nach- und – natürlich – besser machen anregen. Nicht weil diese Kampagnen und Ak- tionen nun die Welt aus den Angeln gehoben hätten, sondern da sie im konkreten vieles – theoretisch, wie praktisch und strategisch – berührt haben, was eine radikale Linke, die an der Erledigung ihrer Hausaufgaben, also der Überwindung des Kapitalismus, festhält, auch jenseits von irgendwelchen Bällen in Zukunft beschäftigen muss. Die Broschüre markiert so den Stand einiger Überlegungen.

Ganz materialistisch orientiert sich ihr Aufbau an der realen Entwicklung: An die jeweiligen Aufrufe schließen sich unsere Nachbereitungen an. Ergänzt werden sie durch Interviews, die auch die unterschiedlichen Perspektiven auf das Spektakel und die sich daraus erge- benden Konflikte deutlich machen sollen.

So sehr wie diese Broschüre die Möglichkeiten symbolischer Gesellschaftskritik aufzeigt, so deutlich werden bei genauerem Hinsehen mithin auch deren Grenzen. Der Kommunismus ist schließlich keine Gedankenbewegung und Staat, Nation und Kapital werden

sich ganz sicher nicht wegdemonstrieren lassen: Die Re- volution ist kein Wunschkonzert. Sie muss gedacht und gemacht werden – und nur eine Seite der Medaille hält die Geschichte nicht bereit.

Statt Kritik „nur“ mit Krawall und Remidemi öf- fentlich zu machen und – vor allen Dingen – auch aus den realen Widersprüchen der Gesellschaft weiter zu entwickeln, ist die Aufgabe also noch Größer. Theoretische Erkenntnisse müssen ausprobiert und umgesetzte werden, ein revolutionärer Prozess, der diesen Namen auch verdient, muss also schon im Hier und Jetzt, in sozialen Kämpfen eingreifen und organisiert werden. Und das, ohne sich was vorzumachen und bürgerliche Politik oder den Rückzug in linke Szenenischen als „den Kampf ums ganze“ auszugeben. Die kapitalistische Herrschaft der Strukturen setzt sich nur durch und mit dem Den- ken und Handeln der ihnen unterworfenen Menschen durch. Das Subjekt ist für seine selbstverschuldete Un- mündigkeit also ganz praktisch vor den Richterstuhl der Vernunft zu laden. Eine in diesem Sinne praktisch verstanden Subversion für eine spätere Revolution, die dann eben kein bloßer Machtwechsel ist, müsste also auch im Alltag und an den konkreten ideologischen und praktischen Techniken zur Sicherung des Systems anset- zen. Mensch sieht, es gibt Aufgaben, die sind einfacher.

Wenn wir im folgenden dem interessierten Publikum trotzdem einige Gedanken und Erfahrungen linksradikaler Eventpolitik ans Hirn legen wollen, dann in der Hoffnung damit etwas zu einer notwendigen Diskussion über die inhaltliche Bestimmung und strategische Organisierung radikale Kritik und Praxis gegen diese Gesell- schaft beizutragen.

Eine weitere Opernballdemo, so scheint uns ange- sichts der sich momentan vorsichtig andeutenden Haar- risse im gesellschaftlichen Schlafzustand, ist nicht die Aufgabe der Stunde. Gleichwohl konnte und kann die Auf hebung des schlechten Bestehenden mitunter nur mit symbolischer Radikalität und der unversöhnlichen vorgetragenen Forderung nach dem Maximum, und das ist heute das mögliche, voran gebracht werden. Wie heißt es schließlich so schön: „Es gibt kein Licht, als jenes, welches von der Erlösung her auf die Welt scheint“ (Adorno).

autonome antifa [f], 0208

Download – Reader Opernball 2005-2007