Nach knapp einem Jahr sind wir wieder auf der Nachttanzdemo, diesmal sogar mit eigenem Wagen. Und doch haben wir einige kritische und selbstkritische Anmerkungen bezüglich dessen zu machen, worum es hier laut Aufruf geht.
Es hat gegenüber dem Vorjahr einige Veränderungen gegeben, die wir nicht kommentarlos vorüber gehen lassen wollen: Noch im letzten Jahr hieß es beispielsweise kritisch gegenüber dem „eigenen Land“, man wolle „abseits des deutschen Kontrollfetischs kreativ und widerständig leben und feiern, anstatt Standortfaktor für Frankfurt zu spielen“. Dagegen wird heute bekundet, dass [Zitat] „unser Land ohne freischaffende und -denkende Kulturszene um einiges ärmer wäre“.
Damit hat man es innerhalb eines Jahres geschafft, Inhalte dieser Demonstration in ihr Gegenteil zu verkehren. „Unser Land“ und damit immerhin Deutschland wird im Aufruf zu einer Demonstration gegen Repression, Rassismus und für gemeinsame Party zu einer unhinterfragten Größe. Womöglich in Bezug oder zumindest in ungewollter Nähe zur Berliner Pop-Band „Mia“ und deren Deutschland-Hype – kann sich darauf scheinbar auch in Frankfurt berufen werden.
Bei Mia liegt die Sache weitaus klarer und extremer, fordern sie doch explizit ein neues deutsches Selbstbewusstsein, das sich nicht mehr mit den Gräueln der Geschichte belasten muss. Sie begründen dies mit der angeblichen Läuterung der Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg und dem neuen Geschichtsbewusstsein der Berliner Republik seit 1998. Mit diesem im Gepäck können die Deutschen es sich leisten, die Leiden der jüdischen Menschen in den Konzentrationslagern auf eine Stufe mit den Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu stellen. Diese vollkommen unzulässige Universalisierung, also Gleichbewertung von „Leiden“ bedeutet nichts anderes als die Verharmlosung der deutschen Verbrechen unter dem Mantel der neuen, „geläuterten“ Generation. Aus eben dieser Läuterung kann dann die besondere Verantwortung gerade der Deutschen gefolgert werden. Nur konsequent wurde mit dieser Begründung wieder Krieg im Kosovo geführt und sich dann die „moralische Größe“ herausgenommen, den Amerikanern im Irak „den Frieden zu erklären“.
Doch zurück zu heute Abend: Traurigerweise ebenfalls in den Kontext des neuen, bewusst oder unbewusst artikulierten deutschen Selbstbewusstseins einzuordnen zu sein scheint eine andere Textstelle im Aufruf: Gefordert wird [Zitat] „eine gesunde kulturelle Identität und ein angemessenes kulturelles Selbstbewusstsein“.
Vermutlich und vor allem hoffentlich ohne es zu wollen, bedeutet dieser Satz beste Anschlussfähigkeit an rechtes Gedankengut: Was wäre, im Gegensatz zur geforderten „gesunden“ eine „kranke“ Identität? Nazis würden sagen, eine, die nicht stolz auf „unser Land“ ist. Dies aber nur so in den Raum geworfen.
Identität ist im Normalfall dieser Gesellschaft, der an sich schon mies ist – notwendig falsches Bewusstsein. Das vereinzelte Individuum wird durch Identifikation mit einer, im besten Falle zur kritischen Reflexion fähigen sozialen Gruppe, im schlechtesten Fall mit einem „Volk“ mit den Übeln der kapitalistischen Gesellschaft irgendwie besser fertig.
Das Zu-Ende-Denken der Kategorie Identität bedeutet aber immer die – zum Glück meist nur versuchte – Schaffung eines gleichförmigen, „gesunden“ Körpers, der „kranke“ Teile ausschließt und sich damit zum Herrschaftsinstrument aufschwingt.
Ist das mit der Forderung nach einer „gesunden Identität“ gemeint? Wir wollen es nicht hoffen.
Identität, Gleichförmigkeit, Ausschluss – und das in einem Aufruf, der an anderer Stelle noch die „rassistischen Kontrollen im Innenstadtbereich“ thematisiert. – Wie konnte das passieren?
Wir als autonome antifa haben es versäumt, den diesjährigen Aufruf vor Veröffentlichung kritisch anzugehen. Das war unser Fehler. Unsere ursprüngliche Hoffnung in der Kulturoffensive war es, verstärkt politische Inhalte in eine Szene zu tragen, die sich mit Innenstadtpolitik, Repression und auch Rassismus auseinandersetzt – und die noch dazu gute Partys macht.
Dieses Ziel wurde schwer erreichbar gemacht. Mit den Diskussionen um den letzten Aufruf, als wir im Gegensatz zu diesem Jahr unsere Vorstellungen offensiv durchsetzten; Mit späteren Diskussionen um Ziele und Inhalte der Kampagne, die sich meist gegen eine starke politische Ausrichtung wandten; Und schließlich mit der Ansicht vieler Personen im Bündnis, dass die Party an sich im Vordergrund stehen sollte und die Politik eher als Beiwerk am Rande verstanden wurde.
Wir hingegen haben die Party als Mittel gesehen, mit dem man politische Inhalte an Menschen herantragen kann, die man auf anderen Ebenen nicht erreicht. Eigentlich ein guter Plan, oder nicht?
Ob gewollt oder ungewollt; dieser Aufruf ist Zeichen politischen Rückschritts und damit Zeichen des Vormarsches reaktionärer Ideologie – auch in versteckter, auch in unbewusster Form und – auch in Frankfurt.
Sinnvoll wird diese Demonstration erst, wenn jeglichem positiven Bezug auf Deutschland eine Absage erteilt ist. Gerade in Zeiten von Hartz, Gesundheits- und Rentenreform – jeweils für den „Standort Deutschland“ – sollte dies eigentlich kein Problem sein.
Unsere zentrale Forderung bleibt: Zusammenhänge aufzeigen, Widersprüche deutlich machen und – handeln! Gegen Deutschland! Gegen die reaktionären Tendenzen! Und gegen den inneren Schweinehund!
Deshalb laden wir Euch an dieser Stelle zu einer Demonstration am 30.Oktober ein, bei der es genau darum geht: Die Zusammenhänge zwischen Sicherheitspolitik, der neuen deutschen Geschichtspolitik und dem aktuellen Sozialabbau aufzeigen und angreifen.
Und jetzt viel Spaß auf der Nachttanzdemo!
Rock down capitalism!