09.04.05 – Aufruf zum 8.Mai


8.Mai – Kapitulation statt Befreiung

„Gleichsam gesamtdeutsch und überparteilich hat sich die lügnerische Sprachregelung durchgesetzt mit Kohl die Deutschen als „unser Volk“ zu bezeichnen oder von „der Befreiung auch unserers Volkes von Faschismus und Krieg“ zu schwadronieren. Als wären Faschismus und Krieg mystische immaterielle Gewalten, als gäbe es Faschismus ohne Faschisten und Krieg ohne Krieger. Als wäre die Befreiung von Faschismus und Krieg nicht die Befreiung von Faschisten und Kriegern und als wären schließlich die Deutschen nicht selbst, in eigener Person, die Faschisten und Krieger gewesen von denen sie damals angeblich befreit wurden. Es wird somit gelegnet, dass die Deutschen (in der großen Mehrheit) nicht für die Befreiung vom Faschismus gekämpft haben, sondern für dessen Sieg, der gleichzeitig ihr Sieg gewesen wäre (…). Der lügnerische Sprachgebrauch, die unvermeidlich gewordene militärische Unterwerfung Nazi-Deutschlands in eine Befreiung umzudichten, eignet sich ausserdem bestens dafür rückwirkend und für die Zukunft militärische Operationen als Befreiungsaktionen zu deklarieren, weil im neudeutschen Verständnis von Befreiung der Willen desjenigen, der in ihren Genuß kommen soll, keine Rolle mehr spielt. Und mit dieser Liquidierung der entscheidenden Differenz zwischen Eroberung und Befreiung hat sich das öffentliche Bewußtsein unbemerkt weitgehend dem der Nazis angeglichen, die ja ihrerseits nach eigenem Verständnis unaufhörlich retteten und befreiten, weil die Abstraktion vom wirklichen Willen der vermeintlich Befreiten für sie eine Selbstverständlichkeit war. (…)
Diese jeder Logik und sämtlichen Moralvorstellungen hohnsprechende Kameradie basiert auf der gleichen patriotischen Fiktion, auf der Fiktion vom „anständigen Deutschen“ als dem Ehrenretter der Nation in dunkler Zeit. Hier wird der naheliegende Verdacht, es habe in Deutschland auch anständige Leute gegeben, dazu benuzt, die Anständigekeit von sich atypisch, also sich in diesem Fall gerade nicht „deutsch“ verhaltenden Personen als Attribut des Deutschseins ausgegeben. Gerade die Tatsache , dass Personen durch ihr Verhalten gezeigt haben, dass sie nicht primär Deutsche, sondern Menschen waren, wird gern als Beweis eines „anderen Deutschland“ genommen. (…) Gerade der häufig mystifizierte „Deutsche Widerstand“ hat so schon 45 zur Verdrängung der Tatsache geführt, dass auch ein demokratisches Deutschland noch immer eins ist, welches Auschwitz in seiner Geschichte hat. Solange es das gibt, gibt es zwangsläufig auch Mitglieder eines geschichtlichen Kollektives, dass Verbrechen auf dem Kerbholz hat, die nicht wieder gut zu machen sind. „Die Deutschen“ selber müßten eigentlich das größte Interesse daran zeigen, sich aus dieser Zwangsgemeinschaft zu befreien. Deutschland ergibt so praktisch ein zusätzliches Motiv, sich die Auflösung der vorgeschichtlichen Kollektive, der beschönigend Nationen genannten, erweiterten Stammesverbände zu wünschen. Und damit den Übergang zur Menschheit und den Eintritt in die Geschichte. Stattdessen wurde jedoch schon ’45 wieder „nationale Einheit“ und „Souveranität“ angestrebt. Die Angleichung des Bewusstseins resultiert mithin aus dem gemeinsam schlechten und unbelehrbar gebliebenen Willen, das „Vaterland“ trotz alledem retten zu müssen.“ (Wolfgang Pohrt, 1986)

Alle Jahre wieder – Alle gegen Nazi ?
Im Vorfeld des 60. Jahrestages der totalen Kapitulation Deutschlands und der Befreiung der Menschheit vom direkten Terroregime des Nationalsozialismus sind jene wieder ins Gerede gekommen von denen man hierzulande, doch eigentlich nur sehr ungern spricht: die Nazis. Ausgelößt durch die Wahl der nationalsozialistischen NPD in den sächsischen Landtag und die medienwirksame Relativierung der Menschheistverbrechen des Holocaust durch eben diese konnte man die mediale Sparversion des „Antifa Sommers“ 2000 erleben. Wie damals zeigten sich überall die Politiker „empört“, die Kichen „warnten“ und Verbände plus Gewerkschaften forderten „ein entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsradikalismus“. Sogar ein neues NPD-Verbotsverfahren war in der Diskussion.

Doch gestandene AntifaschistInnen und damit Linksradikale ficht so etwas natürlich nicht an. Ist es doch nun wirklich kein Geheimnis, dass den Lippernbekenntnissen schon bei der 1. Version kaum konkrete Taten folgten und auch diesesmal nicht folgen werden. Zumal es dieses mal nicht einmal die – selbst weitgehend folgenlose gebliebene – Gründungswelle von “ Bürgerinitiativen gegen Rechts“ zu beobachten gab. Es war wohl eher die Sorge um das öffentliche Ansehen, des „Standortes Deutschland“, die hier die bürgerlichen Kräfte erneut anschob sich mehr schlecht als recht plötzlich über das offensichtlichste Ergebnis des völkischen Alltages in vielen Gegenden dieses Landes zu empören. Ein Altag der schon seit Jahren mit gewalttätigen Übergriffen auf „Nicht-deutsch“ und Linke weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vor sich geht. Und – wie am Beispiel des Mordes an einem Punker durch einen Naziskin in Dortmund zu sehen ist – wohl auch weiter gehen wird.

Und ausserdem, was ist schon vom bürgerlichen „Antifaschismus“ zu halten, der – wie in der jüngsten Bombenkriegsdebatte – kein Problem damit hat, deutsche Täter zu Opfern zu stilisiern, so oder so einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen will und die letzten noch lebenden Zwangsarbeiter nicht „entschädigt“, sondern höchstens abspeist um größtmöglichste Rechtsicherheit für deutsche Unternehmen heraus zu holen.

Ein konsequenter Antifaschismus würde ohnehin nach Widerstand gegen einen Staat verlangen, der so zynisch ist nicht „trotz, sondern wegen Auschwitz“ deutsche Großmachtinteresse (wie im Kosovo Krieg 1999) mit militärischer Gewalt durchzusetzen, sich zunehmend als „Opfer“ des 2. Weltkriegs stilisiert und mit neuem „Selbstbewusstein“ die Interessen der einzelnen (siehe Sozialabbau mit Hartz IV) Menschen dem „Standort“ unterordnet. Wer von Volk, Nation und „Schicksalsgemeinschaften“ (Roland Koch) spricht, der schweigt nach wie vor vom Wohlergehen der einzelnen Menschen. So zeigt sich auch nicht zuletzt an der rassistischen Einwanderungspolitik der Festung Europa – mit mehreren tausend Abschiebungen jedes Jahr – und dem Abriß der „freiheitlich-demokratischen“ Rechte durch immer neue, autoritäre „Sicherheitspakte“ die reaktionäre Ausrichtung des bürgerlichen Lagers von Grüne bis CSU.

Und last but not least müsste ein ernst gemeinter Antifaschsmus schließlich den Zusammanhang von kapitalistischer Vergesellschaftung und reaktionären Bewegungen benennen – und angreifen. Ist doch in dem irrationalen, kapitalistischen Prinzip des „survival of the fittest“ schon die Barbarei des Faschismus anglegt. „Diese Gesellschaft, die nach Auschwitz nicht grundsätzlich eine andere ist, ist eine die Auschwitz bewusst in Kauf nimmt“ formulierte es der Publizist Wolfgang Pohrt. Das die bürgerliche Aufregung über „die Nazis“ all dies nicht einmal erwähnt, geschweige den angehen kann oder gar will, zeigt einfach, was vom bürgerlichen „Antifaschismus“ zu halten ist – Nichts.

Rechtsradikaler „Antifaschismus“ …
Es geht jedoch daneben den aktuell eingeforderten und proklamierten, bürgerlichen „Antifaschismus“ im Zuge des aktuellen Geschichtsdiskurses allein als Heuchellei oder gar „nur zu kurz gegriffen“ – als ein Projekt also, dass wenn es schon nichts nützt, dann doch wenigstens nicht schadet – abzutun. Vielmehr ist die angestrengte Diskussion über die Nazis und den Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus selbst Ausdruck und Vehikel einer reaktionären gesellschaftlichen Entwicklung, die aus der und durch die „antifaschistische“ Mitte voran getrieben wird.

Wenn etwa der Chefredakteur des rot-grün nahen Wochenblattes „Der Stern“ in der Einleitung zum Schwerpunktes „60 Jahre Befreiung und Untergang“ anlässlich des am 8. Mai anstehenden 60. Jahrestages der Bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschland erklärt: „Deutschland hat sich geändert. Wir haben den Chauvinismus, den Militarismus und den Imperialismus hinter uns gelassen. Wir sind eine zivile Gesellschaft geworden.“ so ist das – siehe Oben – so grundsätzlich gelogen, wie es allerdings auch eine faktische Form der Modernisierung der nationalen Identität und des Projekts „Großmacht Deutsch-Europa“ darstellt und damit ernst gemeint ist. Der vermeintliche, rot-grüne „Antifaschismus“ entpupt sich hier schließlich als das, was er wohl schon immer war – ein einziges groß angelegtes Schlussstrich-Projekt. Ein „zivilisiertes Deutschland“, welches die nationalen Verbrechen nicht mehr leugnet, sondern vielmehr nutzbar macht, modernisiert und normalisiert damit seine nationale Identität und ermöglicht es so, diese auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen. Damit wird die reaktionäre Entwicklung dieser Gesellschaft auf allen Ebene – von dem Abbau der sozialen Rechte über die reaktionäre Sicherheitspolitik bis hin zum „neuen“ Nationalismus – katalysiert. Es zeigt sich also: Heutzutage braucht es keine Rechtsradikalen um rechtsradikale Politik durchzusetzen.

… Geschichte …
Die „Realität anerkennend“, werden die Opfer von Gewalt im nationalen Diskurs aus dem geschichtlichen Kontext herausgerissen in dem Sie fielen. So dass am Ende die Unterscheidung zwischen Täter und Opfer hinter der „neutralen Erkenntnis“, dass „schreckliches Leiden“ eben schrecklich ist verschwindet. Da macht es keinen Unterschied, ob es ein Wehrmachtssoldat, der bei seinem schwer verdienten persönlichem Stalingrad zu Tode gekommen oder der von ihm bei Massenerschießungen ermordete Jude ist, der Leid empfindet. Diese Entkontextualisierung und Anthropologisierung von „Leiden“ und „Gewalt“ spielt aktuell, rot-grün gewendet die Rolle der Totalitarismustheorie aus dem Kalten Krieg. Ungeachtet der gesellschaftlichen Bedingungen von Nation und Kapital aus denen heraus das Menschheitsverbrechen des Holocaust begangen wurde, lässt sich so eine „Verantwortung“ für Deutschland in Europa ableiten, die sich hervorragend dazu eignet, eine „moderne“ nationale Identität zu begründen, die nicht nur nicht mehr mit dem Mangel des Verbrechens behaftet ist, sondern diesen dem Rest der Welt vielmehr noch voraus hat. Geschichte wird dadurch gerade für das nationale Kollektiv verwertbar, dessen Überwindung doch eigentlich das Einzige ist, was sich aus ihr ableiten lässt. Was der Bund der Vertrieben (BdV) und die Junge Union jahrelang mit mässigem Erfolg versucht haben, wird durch die, an die Stelle der Forderung nach der Abschaffung Deutschlands getretene, „linke“ und „moderne“ nationale Identität im Handstreich erreicht. „Deutsch sein“ soll, wie es die Pop Band Mia vorgemacht haben, Cool sein. Es stellt sich damit heraus, dass das – was man am rechten Rand immer für rot-grüne „Beschuldigungen“ gehalten hatte, eigentlich „Entschuldigungen“ waren. Nach dem Motto: „wir würden uns ja gerne positiv auf dieses Land beziehen können, aber doch bitte nicht so.“

Zu dieser Nutzbarmachung der deutschen Verbrechen für Deutschland gehört das Holocaust-Mahnmal ebenso wie die Verehrung der Attentäter des 20. Juli, die Europäisierung der Schuld und die lächerliche Zwangsarbeiter-„Entschädigung“. Dem tut auch deine gesellschaftliche Debatte in der beispielsweise das Holocaust-Mahnmal als „Monumentalisierung der Schande“ (vergl. Martin Walser) bezeichnet wurde keinen Abbruch. Vielmehr erweisen sich an ihr die Abstimmungsschwierigkeiten und Ungleichzeitigkeit der Durchsetzung des Standortbewusstseins, das am Ende doch nur „ein Sieg für Deutschland“ (vergl. Schröder zum D-Day) sein kann. Dementsprechend ist es kein grundsätzlicher Widerspruch, dass einer wie Martin Walser, der eben noch gegen das Holocaust-Mahnmal wetterte, sich dann am 8. Mai zum Klönen über „Vaterlandsliebe“ mit dem SPD-Kanzler trifft. Das ahnte wohl auch schon der bereits erwähnte Chefredakteur des „Stern“ im bereits erwähnten Vorwort, als er mit Blick auf das Holocaus-Mahnmal ganz unumwunden erklärte: „Nicht die Opfer brauchen es – wir brauchen es.“

Eine linke Kritik, die sich nur gegen den klar revisionistischen Rand richtet und das „Einbrechen“ oder „Einsickern“ reaktionärer Strömungen in die Mitte der Gesellschaft beklagt, verfehlt also den Gegner. Hatte Roland Koch doch recht, als er auf dem Hessentag 2004 verkündete, dass der völkische Bund der Vertriebenen „zu Deutschland gehört wie das Rote Kreuz“. Ohne die offen rechtsextreme Variante der Nation zu unterschätzen muss sich linke Kritik daher gegen den nationalen Standort und seine „antifaschistische“ Mitte richten. Dafür braucht es keine befriedeten Gedenktage und/oder das theoretisieren im luftleeren Raum, sondern den Angriff auf eine gesellschaftliche Praxis und deren Symbole, die der deutschen Geschichte immer wieder treu bleibt. Links ist schließlich da wo keine Heimat ist.

… Deutschland gegen Nazis und andere Störenfriede …
Ein weitere Aspekt dieses rechtsradikalen „Antifaschismus“ ist die Mobilsierung des nationalen Gefühls gegen „Störenfriede“. Der platte Versuch dementsprechend noch gleich das Versammlungsrecht zu verschärfen steht also keineswegs im Widerspruch zum bürgerlichen „Antifaschismus“. Geht es doch im – ohne Zweifel auch beabsichtigten – „Kampf gegen NeoNazis“ nicht um deren Bekämpfung emanzipatorischer Einsichten wegen, sondern schlicht um die Einsicht in die irrationale Notwendigkeit im Wettbewerb der Standorte den eigenen Kasten sauber halten zu müssen. Daraus erklärt sich, dass sich führende Politiker im Bezug auf die Nazis einer Sprache bedienen, die diesen wohl aus dem Herzen sprechen muss. Der Spitzenkandidat der CDU in Schleswig- Holtstein etwa bezeichnete die NPD- Aktivisten als „Maden im kranken Fleisch“ des Volkeskörpers und ist damit so deutlich auf der Linie des völkischen Gesellschaftsverständnisses, dass es kaum jemanden auffällt. Und mit schlafwandlerischen Sicherheit findet die Mehrheitsgesellschaft hierzulande nach jeder dieser „Anti-Nazi“ Mobilisierung zu ihren „richtigen“ Minderheiten zurück: „Sozialschmarotzer“, „kriminelle Ausländer“, „ewig nörgelnde Juden“, etc. pp.

Nationale Einheit speist sich aus der Ablehnung von, warum auch immer, störenden Minderheiten, die von der Gesellschaft ausgeklammert werden. Da die Nazis entweder als „Problem“ – mit dem die moderne, deutsche Gesellschaft aber ursächlich eigentlich nichts zu tun hat – oder als „verirrte Kinder“ wahrgenommen werden, eignen auch sie sich in bestimmten Situation dazu. Da hierzulande kaum einer Nazis als das Produkt dieser Gesellschaft wahrnehmmen will, ist dies allerdings auch gar kein Problem für die nationale Identität.

Die Ablehung der – und das dabei wohl der wichtigere Punkt – ewiggestrien Nazis, die also schlichtweg nicht up to date sind, speist sich mithin letztlich aus dem selben nationalistischen Gedränge um den kleiner werdenden, kapitalistischen Kuchen, welches von der offenen Barbarei nur durch die Verkehrsform und manchmal nur durch ein paar Promille getrennt wird. Des weiteren ist der bürgerliche „Antifaschismus“ im Kern schon immer ein verkappter Aufguss des „Antitotalitarismus“ gewesen. Die Unfähigkeit Nazis und andere Ultrareaktionäre inhaltlich erkennen zu können – wenn sie also nicht gerade im Style der NSDAP traditionsbewusst durch die Straßen marschieren – ist es, die die Unfähigkeit des bürgerlichen „Antifaschismus“ erweist. Dies ist umso fataler, als dass sich Geschichte bekannter Maßen nur selten wiederholt: ultrareaktionäre Gruppen also keineswegs der Form in der Zukunft als solche zu erkennen sein müssen. Dementsprechend versucht man auch ganz „antifaschistisch“ die NPD Wähler mit einem angeblich „progressiven Verfassungspatriotismus“ oder einem „gesunden Nationalismus“ zurück zu gewinnen. Es stört schließlich nur, dass sich die Nazis nicht an die zivilgesellschaftlichen Spielregeln halten wollen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes durch ihr doch allzu plumpes Auftreten beschädigen. Unter diesem Gesichtspunkt verschwinden in der bürgerlichen Wahrnehmung sogar die grundlegenden Unterschiede zwischen „links“ und „Rechts“ und alles, was als „radikal“ erscheint , soll in der Black Box „Extremismus“ verschwinden. Da ist es dann egal ob es sich um Linke handelt, die die Glücksversprechen der Aufklärung für alle Menschen einlösen wollen oder Nazis die schon die Gleichheit der Menschen negieren – alles „Extremisten“. Das ist der „unpolitische“ Sieg der Form über den Inhalt.

Gleichzeitig wird damit die bürgerliche Gesellschaft als einzig mögliche und dazu noch vernünftigste aller Gesellschaft vor rausgesetzt – schließlich hat sie sich doch (bisher)durchgesetzt. Die Konstruktion der „gesellschaftlichen Mitte“, bedient sich ganz überzeugend eben dieser alten Weisheiten aus der Mottenkiste der Geschichte. Dieses vermeintlich unpolitische wird zum Lebensmotto, zum erstrebenswerten Ziel erhoben, dient aber doch nur der ideologisch geschickten Absicherung der bestehenden Verhältnisse. Mit dem Gebrabbel „vom Ende der Geschichte“ wird eine linear evolutionäre Entwicklung der Gesellschaftssysteme herbeihalluziniert, die jedoch vergisst, dass sich die Geschichte der Menschheit keineswegs direkt von der Monarchie hin zur sozialen Marktwirtschaft entwickelt hat, sondern immer schon eine Geschichte von Klassenkämpfen war.

… links blinken – rechts überholen…
Zu „guter“ letzt ist die Funktion des bürgerlichen „Antifaschismus“ auch eine unmittelbar realpolitisch-taktische. Für die irgendwann mal als links eingeordneten Parteien SPD, GRÜNE und PDS ergibt sich hier die Möglichkeit trotz ihrer objektiv reaktionären Politik in so ziemlich allen Bereichen ihrem noch humanistisch-sozialliberal orientierten Klientel ein Geschenk zu machen, dass nichts kostet. Dabei das durchaus ernst gemeinte Engagement einiger lokalen Pateimitglieder in allen Ehren, aber grundsätzlich ist das zivilgesellschaftliche „Engagement gegen Rechts“ heute eher eine ordnungspolitische Maßnahme für die Zähmung von pathologischen und vor allen Dingen unflexiblen Modernisierungsverlieren oder solchen die es gerne wären. Ein Engagement zudem welches nicht selten, wenn auch immer mit den berühmten „Bauchschmerzen“, auf die direkte oder indirekte Unterstützung der Politik der Bundesregierung hinausläuft. Und das bedeutet bekanntlich nichts anderes als die Unterstützung des deutsch-europäischen Großmacht Projektes. Zuletzt eindrucksvoll geschehen bei den großen und großteils antiamerikanischen Massenaufläufen anlässlich des Irak Krieges. Anders formuliert: Die Neonazis werden also nicht nur abgelehnt, sondern auch gleichzeitig benötigt. „Sie werden gebraucht, weil sie so etwas wie der Dreck sind, an welchem der Saubermann zeigen kann, dass er einer ist. Sie werden gebraucht damit Schröder und sein Klientel, die Raubzüge der Elite als „Aufstand der Anständigen“ zelebrieren kann.“ (Wolfgang Pohrt, FAQ)

Warum sonst herrscht bei den zahlreichen Initiativen weitgehendes Schweigen, wenn es um mehr geht als die Nazis mit Fortbildung, Integration/Sozialarbeit oder polizeilicher Repression wieder auf Spur zubringen. Die gesellschaftlichen Grundlagen und die Bedingungen von Nation und Kapital aus denen heraus die Nazis immer wieder erwachsen dürfen den zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht angetastet werden. Schließlich ist man in den Partei- und Verbandszentralen doch gerade damit beschäftigt diese noch zu verschärfen – die „Sachzwänge“, kann man ja bekanntlich nichts machen. Je mehr so jedenfalls im Sinne des BDI, des BdV und der Grünen ganz „antifaschistisch“ offene Türen eingerannt werden, desto größer ist dabei das mediale Trara darum. Ein schönes Beispiel ist die neue Ausgabe der SPD Zeitung „Vorwärts“. Diese wirbt auf dem Cover für Standortnationalismus („Stadnort D – unsere Stärke“), die Einführung von verschärfter polizeilicher Überwachung und mit der Parole „Schluß mit der Toleranz gegenüber Rechts!“.

Das dieser bürgerliche „Antifaschimus“ aus der Perspektive des Standortes so notwendig ist wie er sich auch parteitpolitisch auszahlen kann hat inzwischen sogar die CDU begriffen. Auch wenn es bei ihr wohl der Nostalgie der eigenen Anhängerschaft wegen momentan noch etwas altbackenen eher unter der Formulierung „Gegen jeden Extremismus“ läuft, auch die CDU engagiert sich hier und da gegen „Rechts“. Dies verweist auf die zunehmenden und grundsätzliche Zurückgeworfenheit der „demokratischen Parteien“ auf ordungspolitische Aufgaben als Standortmanagement im globalen Kapitalismus und ganz sicher nicht auf irgendeine grundlegende, emanzipatorische Entwicklung. Derweilen könne die paar nützlichen Idioten im unteren Partei- oder Verbands- bzw. Gewerkschaftsapparat auf jeden Fall weiter hin von Zeit zu Zeit alarmiert den Hamster im Laufrad (aber dafür mit der richtigen Identität als Gutmensch ausgestattet) spielen – während die reaktionäre Formierung des Gesellschaft gerade durch „ihre“ Institutionen umgesetzt wird.

…acces all areas.
All dies bedeuten nun natürlich nicht, dass die Nazis in Wahrheit schon im Kanzleramt sitzen. Aber ist nicht damit zumindest mal „Ausschlafen gegen rechts“ angesagt? Auch das nicht. Einerseits wegen der ganz konkreten und unvergleichlich direkten Bedrohung des eigenen Handlungsspielraums durch die Nazi und deren nicht zu übertreffende, volksgemeinschaftliche Widerwärtigkeit, die das Elend auch noch ein für alle mal verewigen will. Anderseits, weil die Auseinandersetzung mit den Nazis immer auch eine inhaltliche und praktische Begleitung durch die radikale Linke bedarf – schon um nicht den rechtsradikalen „Antifaschisten“, das Feld zu überlassen. Linksradikale Kritik und Praxis muss sich immer im konkreten Beweisen. Und hier zeigt sich schließlich, dass sich aus den Aktionen gegen Nazi heraus zu halten, diesen Auftrieb ermöglicht, den sich die Linke nicht leisten kann und darf. Auch zeigt sich allerings bei der gesamtgesellschaftlich marginalen Nazi-Bewegung in Deutschland, dass die reaktionäre Entwicklung aus der Mitte der Gesellschaft forciert wird. Dies ernst zu nehmen, erlößt also keineswegs von der, zugegen bisweilen nervigen, Notwendigkeit gegen Nazis vorzugehen, sondern fügt diesem Aufgabenbereich nur einen gewichtigen hinzu. Ernst gemeinter Antifaschimus kann vor der reaktionären Formierung nicht die Augen verschließen, sondern muss diese angreifen. Die radikale Linke muss ihren emanzipatorischen Begriff von Antifa verteidigen indem sie gegen den Nationalismus vorgeht, der sich in der Deutschland neuerdings hinter ehemals linken Forderungen und Millieus verbirgt. Viel zu tun also. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis muss ausgehalten werden. Ein guter Ansatzpunkt für solch eine Kritik der Gesellschaft ist die Diskussion um den 8. Mai. Die radikale Linke sollte hier ihre Aktivitäten nicht allein auf den offen rechten und revisionistischen Rand richten, sondern darauf zielen den nationalistischen Kitt, der die antagonistische Gesellschaft hierzulande, wie kaum sonst wo, zusammenhält aufzulösen. Ein Kitt zumal den Nazis wie „anderes Deutschland“ zu diesem Anlass ( jeweils auf ihre Weise ) erneuern und festigen wollen. Ziel ist es in diesem Sinne die „Normalisierung“ des Standortes auf dem Weg zur Großmacht im globalen Kapitalismus zu durchbrechen. Dafür, dass das im beschriebenen Spannungsverhältnis gelingt ist inhaltlich und praktische Radikalität immer noch die beste Versicherung.

„Lasst uns? So sprechen die Toten hier. Erst wenn in dieser Welt alle wie Menschen leben können, dann – erst dann – lasst uns.“ (Peter Edel, Auschwitzüberlebender)

Ein Ansatzpunkt ist dabei darauf zu bestehen, dass ein konsequenter Antifaschismus immer noch die Abschaffung von Nation und Kapital im Allgemeinen und die Auflösung Deutschlands im Besonderen fordert. Das es dabei heute keinen allgemeingültigen Ansatzpunkt , keine emanzipatorische Gegenmacht gibt, welche die Nation überhaupt zur Kapitulation mit wehenden Tüchern auffordern könnte, verweist dabei nur zu der notwendigerweise auf sich selbst Bezogenheit derjenigen, die überhaupt ein Interesse an Befreiung formulieren. Das äußerst konkrete Unbehagen am unheilvollen Zusammenhang des „falschen Ganzen“ und alle realpolitischen und berechtigten Forderungen -wie etwa die „Entschädigung“ aller noch lebenden Zwangsarbeiter – also auf den im Hier und Jetzt für die Nation nicht nutzbar zu machende Punkt zu bringen, ist so paradox wie richtig.

Die Aufgabe der Linken im Erinnerungsdiskurs ist dabei grundsätzlich banal, aber gerade deswegen um so notwendiger: dafür zu sorgen, dass die weiße Stelle – die das Menschheitsverbrechen Auschwitz in der Geschichte hinterlassen hat – frei bleibt und dieses Land nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Die Toten sind wirklich Tod und weder ein Mahnmal noch die Revolution kann sie wieder zum Leben erwecken.

Ziel der radikal Linke war es jedoch schon immer, zu verhindern, dass Auschwitz noch einmal sei. Konkret bedeutet dass, den 8. Mai nicht allein als den „Tag der Befreiung“ zu feiern und den Opfern des Vernichtungswahns zu Gedenken, sondern auf der Wahrheit zu bestehen, dass der 8. Mai eben nicht Symbol der Befreiung des nationalen Kollektives oder gar ein „Sieg für“ (Schröder), sondern einer gegen Deutschland ist. Dass er kein Symbol für die Befreiung Deutschlands, sonder eins für die Befreiung der Menschen von Deutschland íst. Dass die deutschen Verbrechen nicht durch den Kampf eines „besseren Deutschland“, sondern durch die militärische Zerschlagung des ganzen Deutschlands beendet wurden. Das Beharren auf einer banalen historische Wahrheit, eine „Auschwitzkeule“ im besten Sinne also, mit dem sich auch heute noch „Deutschland, jenem Schlußstrich unter eine offene Rechnung“ – ganz gepflegt der Schädel einschlagen läßt.

Dem entsprechend stehen alle Aktionen die wir anlässlich 8.Mai dieses Jahres gegen böse Nazis und „besseres Deutschland“ unternehmen unter dem Imperativ:

Damals wie Heute.
Für die totale Kapitulation – Kein Frieden mit Deutschland !