09.07.09 – Antifa ohne Worte (Jungle World)


Dass eine Unterstützung der Proteste gegen das iranische Mullahregime ausbleibt, verdeutlicht die antiimperialistische Blockade der antifaschistischen Linken in Deutschland.

von »Gruppe Autonome Antifa [F]«

Stellen wir uns folgendes vor: Irgendwo auf der Welt gibt es ein autoritäres Regime. Es schlägt Arbeiter- und Studentenproteste mit aller Gewalt nieder. Seinen Machtanspruch leitet es aus der politischen Ideologie eines religiösen Fundamentalismus ab. Unter anderem werden Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt, Homosexuelle und »Ehebrecherinnen« werden öffentlich gehängt bzw. gesteinigt. Außerdem unterstützt das Regime rechtsradikale Terrorgruppen in aller Welt, versucht in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen und droht anderen Staaten mit der Vernichtung. Last but not least veranstaltet es Konferenzen, deren Ziel die Leugnung des Holocaust ist, weswegen es auch eine ganze Reihe bekannter Neonazis einlädt. Keine schöne Vorstellung für eine antifaschistische Linke.

Stellen wir uns nun vor, diese Diktatur gerät plötzlich ins Wanken, weil Teile der Bevölkerung aufgrund von Wahlfälschungen auf die Straße gehen. Es kommt zu schweren Zusammenstößen, zahlreiche Menschen werden verletzt und getötet. Innerhalb des Regimes entstehen Spannungen, die herrschende Ideologie zeigt Risse. Tausende ins Exil getriebene Menschen gehen weltweit und auch in Deutschland auf die Straße. Endlich eine Gelegenheit für die antifaschistische Linke, ihre Slogans von globaler Solidarität zu skandieren und mit dem Kampf gegen Rechts »mit allen Mitteln und auf allen Ebenen« ernst zu machen. Sie ruft daher zu Demonstrationen auf, fordert offene Grenzen für die Verfolgten des Regimes und dessen weltweite Isolation. Natürlich kommt es auch zu militanten Aktionen gegen deutsche Konzerne, die weiterhin Geschäfte mit dem Regime machen.

Die Realität sieht anders aus. Denn das anfangs beschriebene Szenario spielt sich nicht in einer lateinamerikanischen Diktatur, sondern in diesem Moment im Iran ab. Und der Großteil der antifaschistischen Linken reagiert ganz einfach – gar nicht. Zwar gibt es in Köln und Münster Aufrufe zu Solidaritätskundgebungen, und in Frankfurt wird gar das iranische Konsulat angegriffen. Das war es dann aber auch schon. Nicht einmal verbal wird die beschworene Solidarität gezeigt. Das gilt insbesondere für die organisierten Gruppen innerhalb der Antifa-Bewegung. Immerhin vier Wochen vergingen, bis die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) zu Protestaktionen aufrief. Zum Vergleich: Nach dem Putsch in Honduras hatte sie für einen solchen Aufruf keine 48 Stunden benötigt. Das im norddeutschen Raum umtriebige Netzwerk Avanti rührt sich bis heute gar nicht. Weiter südlich sieht es nicht anders aus. Egal ob in Göttingen, Freiburg, Nürnberg oder Stuttgart – bei der Antifa herrscht Schweigen. Das gilt auch für die überregionalen Zusammenschlüsse. Die Interventionistische Linke ist sonst überall dabei, jetzt gibt es nicht mal ein paar magere Sätze. Im Rahmen des antinatio­nalen Bündnisses »Ums Ganze« sind zwar ein paar der dort organisierten Antifa-Gruppen in der Iran-Solidarität aktiv, aber auch hier bleibt das Engagement bisher auf Ausnahmen beschränkt.

Das Schweigen der Antifa ist umso verwunderlicher, als die deutsche Naziszene keine Minute gezögert hat, sich auf die Seite des iranischen Regimes zu stellen. Überdies werden selbst im Dunst­kreis der Linken Ansichten geäußert, die denen der Nazis bis ins Detail gleichen. Das Verhalten der Antifa kann also nicht damit erklärt werden, dass sie das Thema nicht zur Kenntnis nimmt. Nur: Wie dann? Unseres Erachtens kommen vier potenzielle Erklärungen in Betracht:

1. »Die antifaschistische Linke hat zu viel zu tun, zwischen NPD-Aufmärschen und Bildungsstreiks, dem antimilitaristischen Kampf gegen die Bundeswehr sowie dem Engagement für linke Freiräume ist einfach keine Zeit mehr.«

Abgesehen davon, dass man sich in Antifa-Kreisen in der Regel auch nicht zu schade dafür ist, wegen drei Neonazis an der Bushaltestelle alles stehen und liegen zu lassen, scheint Potenzial durchaus vorhanden zu sein. Nachdem ein Bulle in Griechen­land einen Jungen erschossen hatte, fanden innerhalb von einer Woche überall Solidaritätsaktionen statt. Daher zeigt das Nichtverhalten der antifaschistischen Linken, dass sie falsche Prioritäten setzt. Sollte es der Opposition im Iran tatsächlich gelingen, das fundamentalistische Regime entscheidend zu schwächen, wäre das nicht nur ein Schlag gegen die mit ihm assoziierten rechtsradikalen Terrorgruppen wie Hamas und Hisbollah, sondern gegen den politisch-religiösen Fundamentalismus weltweit. Eine antifaschistische Bewegung, der es nicht bloß um den Kampf gegen Nazis, sondern um die Verbesserung der Ausgangsbedingungen für eine fortschrittliche Veränderung der Gesellschaft geht, muss daran ein Interesse haben.

2. »Die Situation ist zu unübersichtlich. Niemand will die Falschen unterstützen, etwa Schah-Anhän­ger oder konkurrierende Mullahs. Außerdem zeichnet sich gerade die exiliranische Linke durch eine Reihe obskurer Gruppierungen und Sekten aus.«

Egal ob Gipfel oder Friedensdemonstration: Die Teilnahme von seltsamen bis schwer erträglichen Gruppierungen an Protesten hat die antifaschistische Linke bisher noch nie daran gehindert, selbst zu intervenieren. Natürlich versuchen auch Monarchisten und Angehörige des islamistischen Establishments, die Proteste in ihrem Sinne zu vereinnahmen. Aber das zeigt nur, dass die Revolte von großen Teilen der Bevölkerung ausgeht und eben nicht zentral gesteuert ist. Sie eröffnet damit einen Raum, in dem weiter gehende Vorhaben überhaupt erst denkbar werden. Es ist an der Antifa, die Teilnahme von reaktionären Gruppen an den grundsätzlich richtigen Protesten zu problematisieren.

3. »Wer vor dem Hintergrund des rassistischen Diskurses etwa die Unterdrückung von Frauen durch Islamisten im Iran kritisiert, der verstärkt nur das westliche Feindbild Islam.«

Dieser Ansatz, der von einer ganzen Reihe sich besonders antirassistisch wähnender Zusammenhänge, wie z.B. der Antinazi-Koordination Frankfurt, vertreten wird, bedeutet die Übernahme rassistischen Denkens. Anstatt die Kulturalisierung sozialer Praxen zu kritisieren, wird hier die rechte Argumentation nachvollzogen und lediglich positiv gewendet. Eine antifaschistische Linke muss jedoch die Logik rechtsradikaler Argumentationen insgesamt zurückweisen und deutlich machen, dass der Islamismus nur als politische Bewegung und nicht als kulturelles Phänomen zu verstehen ist. Die Revolte im Iran ist selbst der beste Beweis dafür, dass eine islamistische Diktatur nicht der natürliche Wunsch von Menschen im Nahen Osten ist, sondern eine Herrschaftsform, die immer wieder brutal durchgesetzt werden muss. Die Unterstützung der Proteste gegen das Regime im Iran ist in diesem Sinne eine praktische Positionierung jenseits von Rassismus und Islamismus.

4. »Wer sich jetzt gegen das iranische Regime engagiert, unterstützt den Imperialismus der USA und der EU und bereitet einem Krieg zwischen dem Iran und Israel den Boden.«

Dieser Einwand erscheint bei genauerer Betrachtung als das Argument, das einen Großteil aller anderen Entschuldigungen der antifaschistischen Linken motiviert. In seiner milderen Variante geht es darum, sich im Konflikt zwischen »antideutschen« und »antiimperialistischen« Positionen nicht auf eine Seite schlagen zu wollen. Nur: Es bedarf für die Unterstützung der Revolte im Iran gar keiner Positionierung in linken Grabenkämpfen. Um die iranische Opposition zu unterstützen, muss man keineswegs »Antideutscher« sein oder sich auf eine Version linker Gesellschaftskritik festlegen. Vielmehr drängt sich diese Unterstützung schon aus Antimilitarismus auf. Denn mit jeder Schwächung des Regimes, das den Iran zur Nuklearmacht machen will, wird eine militärische Konfrontation im Nahen Osten unwahrscheinlicher. Die angeblich pro-imperialistische Revolte entpuppt sich so als ein Aufstand gegen den Krieg. Die antifaschistische Linke braucht übrigens keine Angst davor zu haben, mit Merkel auf derselben Seite der Barrikade zu landen. Spätestens wenn die Geschäfte mit dem iranischen Regime beeinträchtigt werden, wird sich die Sorge der bundesdeutschen Demokraten wieder auf die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung konzentrieren.

Alle diese möglichen Erklärungen für die Zurückhaltung der Antifa gegenüber der Revolte im Iran und den entsprechenden Protesten hier stellen sich also als denkbar schlechte Ausreden heraus. Das zeigt, dass die radikale Linke trotz aller Versuche, modern zu sein, dem antiimperialistischen Weltbild aus dem Kalten Krieg anhängt. In diesem übersetzt sich der Kampf für eine Verbesserung der Gesellschaft in eine identitäre Parteinahme für eine Seite im Staatensystem. Die Selbstbefreiung und -organisation der Menschen ist dabei stets einem angeblich höheren, strategischen Zweck untergeordnet. Das erweist sich auch als eine folgenschwere Blockade der Antifa. Ihr Umgang mit der Bewegung des politischen Islam verdeutlicht dieses Problem nur: Statt den Islamismus endlich als ernst zu nehmenden Gegner anzuerkennen, wird er in weiten Teilen der Antifa als unschöne, aber harmlose Artikulationsform der Unterdrückten abgetan.

Die Überwindung dieser antiimperialistischen Blockade wäre daher nicht nur die Bedingung für die Entwicklung eines neuen, emanzipatorischen Internationalismus der Linken, wie ­Moishe Postone ihn schon vor einigen Jahren forderte (Jungle World 33/2005). Vielmehr ist das Ende des Antiimperialismus als eines politischen Konzeptes auch die Voraussetzung dafür, dass wenigstens die antifaschistische Linke ihrem Namen gerecht werden kann. Da sie das bisher nicht einmal versucht, stellt sich die Frage, ob die Aufgabe der Antifa nicht besser von den Linksradikalen erledigt werden sollte, die wissen, dass es beim Antifaschismus zwar nicht um Revolution, aber um die Durchsetzung ihrer Voraussetzungen geht. Es braucht Linksradikale dafür, weil selbst dieses bescheidene Vorhaben eine Kritik braucht, die den Grad ihrer Radikalität nicht von Bündnisoptionen abhängig macht, und eine Praxis, die sich ihre Mittel nicht von der Straßenverkehrsordnung vorschreiben lässt.