15.11.04 – Prozess bei Daschner Prozesseröffnung


Wenn am 18.11. der Prozess gegen den Frankfurter Vize-Polizeipräsident Daschner eröffnet wird, steht für den Rechtsstaat einiges auf dem Spiel – hat sich doch einer seiner höchsten Repräsentanten nicht an die demokratischen Spielregeln gehalten. Was war passiert? Nachdem im letzten Jahr der Kindesentführer Magnus G. von der Polizei gefasst wurde, drohte ihm Daschner nicht nur Folter an, wenn er die Polizei nicht zum Versteck des Kindes führe – sondern gab dies hinterher auch noch stolz in aller Öffentlichkeit zu. Die Aufregung im bürgerlichen Lager war groß, schließlich gehört das Folterverbot zu den Eckpfeilern des “demokratischen Rechtsstaates“. Nicht nur an diesem Fall zeigt sich, wie die bürgerliche Gesellschaft sich selbst nicht an die eigenen Maßstäbe und Ideale von “Rechtssicherheit“ und “Gewaltlosigkeit“ hält: Auch bei weit sympathischeren Zeitgenossen als dem verkrachten Jura-Studenten Magnus G. und jenseits solcher scheinbarer Ausnahmefälle lässt sich wieder und wieder aufzeigen, wie zur Herstellung von „Sicherheit“ und “Gewaltlosigkeit“ Gewalt gebraucht wird. Sei dies Isolationshaft gegen linke Militante oder Abschiebungen von MigrantInnen. Diese alltäglichen Fälle von “gewaltfreier“ Gewalt werden dabei in der bürgerlichen Wahrnehmung genauso wenig wahrgenommen wie ungeregelte und damit “exzessive“ Gewaltanwendung immer als skandalöser Einzelfall dargestellt wird. Zu recht haben jedenfalls Bürgerrechtler wie auch die Linke immer darauf hin gewiesen, dass das Gerede von “Freiheit“ und “Gleichheit“ als Ideologie oft das reale Unrecht verdeckt, bzw. beschönigt.

Unser Staat ist in Ordnung…

Doch der damit gemachte Versuch, bürgerliche Freiheit und Gleichheit allein als nicht eingelöstes Ideal zu verstehen an das sich diese Gesellschaft immer öfter nicht hält, greift zu kurz. Er bleibt sogar systemimmanent und geht so direkt am Problem vorbei, denn „Freiheit“ und „Gleichheit“ sind als konstitutive Momente der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen und in diesem Sinne durchaus ernst gemeint. Schließlich ist die Grundbedingung für die – durch den Zwang zur gnadenlosen Konkurrenz aller gegen alle – bestehende strukturelle Gewalttätigkeit des Kapitalismus gerade die „Gewaltlosigkeit“ der einzelnen Menschen. Die über das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzte Rechtssicherheit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz ist die Voraussetzung für die platte Vergleich- und damit Verwertbarkeit aller Menschen auf dem „freien Markt“. In dessen Produktionsprozess sich dann wiederum die formale Gleichheit notwendig in reale Ungleichheit und privates Elend verwandelt. Nichts am Kapitalismus ist „ungerecht“, alles an Ihm ist unmenschlich. Gleichzeitig kann sich die – irrigerweise als „Ende der Geschichte“ bezeichnete – bürgerliche Gesellschaft und ihr Recht selbst nicht verstehen, schließlich ist selbst ihr Zweck in letzter Konsequenz kein menschlicher, sondern die Selbstvermehrung des Wertes. Die in ihr notwendig angelegte Gewalt wird also immer als ein ihr Äußeres, Krankes verkannt gegen das mit entsprechenden Mitteln vorgegangen werden muss. Es ist dementsprechend keineswegs gelogen oder der „Humanität“ der verfahrensleitenden Richterin im Fall Magnus G. zuzuschreiben, als diese feststell- te, Herr Daschner habe dem Rechtsstaat schweren Schaden zugefügt. So sehr Kindesentführungen unmenschlich und damit abzulehnen sind, so ist es für die Stabilität dieser Gesellschaft schließlich auch nicht tragbar, wenn die Exekutive unkalkulierbar handelt. Rein gar nichts hat diese Auseinandersetzung über die Geschäftsbedingungen innerhalb dieser Gesellschaft jedoch mit dem größtmöglichen Glück für jeden einzelnen Menschen zu tun. Die Freiheit, die wir meinen wird dort nicht verhandelt.

Das Richtige im Falschen tun

Die Glücksversprechen von „Freiheit“ und „Gleichheit“ können heute nur gegen die Geschäftsgrundlage des Kapitalismus durchgesetzt werden. Bedeutet die versprochene „Sicherheit“ doch nur die Gewißheit, sich verkaufen zu müssen. Ein positiver Bezug auf die, nur durch den Staat zu gewährenden „Rechte“ ist aus emanzipativer Sicht nicht möglich. Statt mit dem Hochhalten der nur abstrakten Gleicheit aller Menschen also letztlich die bestehenden Zustände zu legitimieren, gilt es den grundlegend besseren Zustand zu denken als den, in dem man „ohne Angst verschieden sein kann“ (Adorno). Trotzdem darf sich eine emanzipative Kritik nicht aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraus halten, sondern muss sich vielmehr dem Dilemma stellen, dass ihr zunehmend die Rolle zukommt die, eigentlich zu überwindenden, bürgerlich-demo-kratischen Mindeststandards gegen die sogenannten Reformen zu verteidigen um überhaupt noch eine grundlegende Kritik formulieren zu können. Schließlich sind Menschenrechte ebenso Basis der kapitalistischen Gewalt wie sie auch erst die Möglichkeit darstellen, ihre Überwindung zu betreiben. Und die Erkenntnis, dass „die Antwort, die dieses System dem Umsturz aller Verhältnisse erteilt, sich bekanntlich nicht in der Wissenschaft, sondern im Strafgesetzbuch findet“ sollte ernst genommen werden.

In diesem Sinne rufen wir dazu auf, anlässlich der Eröffnung des sogenannten Folterprozesses deutlich Stellung gegen den – durch inszenierte „Tabubrüche“ und hysterische Sicherheitsdiskurse eingeleiteten – Abbau der verbliebenen Grundrechte zu beziehen und gleichzeitig dem gewalttätigen, falschen Ganzen einen Tritt zu geben.

Die Freiheit die wir meinen…
Für ein Ende der Gewalt – Kapitalismus abschaffen !