Aufruf zur antikapitalistischen Beteiligung an den Blockupy-Aktionstagen vom 16-19.Mai in Frankfurt/Main
Nach der antikapitalistischen Demo vom 31. März in Frankfurt geistert mal wieder ein Gespenst durch die bundesdeutschen Medien: Die „extremistische Gewalt“ von „Chaoten“. Von FAZ bis Frankfurter Rundschau ist man sich einig. Dass die „Gewalt“ an diesem Tag ausnahmsweise mal nicht nur von der Polizei ausging, das ist ein Skandal! Da spielt es auch keine Rolle, dass sich der Großteil der militanten Aktionen an diesem Tag zielgenau gegen die EZB, eine Wache der Stadtpolizei, ein Luxushotel in dem die Abgesandten der Troika residieren sowie Jobcenter und Leiharbeitsfirmen, also Orte und Symbole der autoritären Krisenverwaltung, gerichtet hat. Medial wird trotzdem der Eindruck erweckt, ein verrückter Mob habe in der Frankfurter Innenstadt wahllos Jagd auf PassantInnen gemacht. Vergessen sind die zahlreichen Berichte über Polizeigewalt aus den letzten Jahren, wie z.B. die Erschießung Christy Schwundecks durch die Polizei in einem Frankfurter Jobcenter. Auch die Massenfestnahmen von fast 500 Menschen und die über 130 zum Teil schwer verletzten DemonstrantInnen am 31. März sind, wenn überhaupt, nur Randnotizen. Selbst die soziologische Binsenweisheit, dass Gewalt nicht einfach vom Himmel fällt, schafft es nicht einmal in die sozialliberale Presse. Ganz im Gegensatz übrigens zum Lamento der Gewerkschaft der Polizei, die nicht etwa die zunehmende soziale Spaltung, sondern allen Ernstes den „mangelnden Respekt gegenüber Uniformen“ für die steigende „Gewaltbereitschaft gegenüber Polizisten“ verantwortlich machen will. Die Gründung einer 25-köpfigen Sonderkommision durch die Frankfurter Polizei „zur Ergreifung der Gewalttäter vom 31. März“ scheint in dieser Logik nur konsequent. Besonders überraschend ist das alles nicht. Wer das staatliche Gewaltmonopol praktisch in Frage stellt, der/die hat in diesem Land nicht mit Verständnis zu rechnen. So ist linke Gesellschaftskritik hier immer vor die Wahl gestellt entweder medial keine Rolle zu spielen oder als bad guy dämonisiert zu werden. Das gilt gerade für Krisenzeiten in den der demokratische Lack des Kapitalismus bekanntlich dünn ist. Dementsprechend wird auch das linke Bündnis Blockuppy, das im Mai eine Blockade der EZB organisieren will, bereits jetzt mit Verbotsdrohungen überzogen.
Wir meinen: Kein Grund sich einschüchtern zu lassen. Die Aktionen am 31. März in Frankfurt haben, bei aller berechtigten Detailkritik, doch über die Landesgrenzen hinaus deutlich gemacht, dass es auch hierzulande ein Potential für antikapitalistischen Widerstand gibt. Dass nun in vielen Medien über Gewaltfreiheit debattiert wird, könnte in diesem Sinne auch eine Chance für die Linke sein. Denn: ein Ende der Gewalt, wie es nun ausgerechnet die Fans dieser Gesellschaftsordnung fordern, das geht nur ohne Kapitalismus. Wir rufen daher dazu auf, sich weder vom medialen Geklingel noch der polizeilichen Repressionsdrohungen beeindrucken zu lassen und sich an den Mai-Aktionen gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika zu beteiligen. Widerstand braucht Kontinuität.
We didn’t start the fire…
Es braucht keine Krise und man muss nicht erst nach Athen oder in die französischen Banlieus schauen um zu sehen: Die kapitalistische Gesellschaft beruht auf den Prinzipien von Herrschaft und Unterdrückung. Obwohl die menschliche Gesellschaft heute die technischen Möglichkeiten dafür hätte, dass niemand mehr unnötig leiden muss, wird das Leben der meisten Menschen immer prekärer. Und diejenigen, die sich den gesellschaftlichen Normen nicht freiwillig unterordnen, werden mit Gewalt dazu gezwungen. Das Hartz IV-Regime bringt das auf den Punkt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht mehr essen dürfen. Nur wer sich für den nationalen Standort nützlich macht, soll auch leben können. Der Rest ist – wie die Bildzeitung bei jeder Gelegenheit verkündet – “lebensunwerter Humanmüll”. Und Menschen, die keinen EU-Pass haben, müssen sich gleich doppelt und dreifach beweisen. Von ihnen wird nicht nur Leistung verlangt, sondern permanente Spitzenleistung. Und wenn sie diese nicht mehr erbringen können werden sie – ganz gewaltfrei natürlich – abgeschoben.
Gleichzeitig schließt das bürgerliche Selbstverständnis die eigene Gewalttätigkeit aus, um sie dafür am jeweils Anderen wahrnehmen zu können. Als das Andere des bürgerlichen Selbstverständnisses aber erscheint Gewalt immer als das unmoralische schlechthin. Alle spezifischen Formen von Gewalt werden so unterschiedslos eingeebnet. Da ist es dann egal ob AntikapitalstInnen eine Leiharbeitsfirma attackieren oder Neonazis einen Menschen wegen seiner Herkunft ermorden – alles Missachtung des staatlichen Rechts, folglich alles „Gewalt“. Dabei ist es mit der Gewaltlosigkeit der bürgerlichen Demokratie selbst nicht weit her, da gerade ihre Gewaltlosigkeit stets nur am Rockzipfel des staatlichen Gewaltmonopols hängt. Die bürgerliche Gewaltfreiheit ist insofern weniger als ein tatsächlicher Verzicht auf Gewalt ernst zu nehmen, denn als die Drohung, die „Ruhe und Ordnung“ von Ausbeutung und Konkurrenz im Zweifelsfall mit aller Gewalt zu verteidigen. Mit anderen Worten: „Die Antwort, die dieses System dem ‚Umsturz aller Verhältnisse in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist` erteilt, findet sich nicht in der Wissenschaft, sondern im Strafgesetzbuch“ (Johannes Agnoli).
Daher sollte eine antikapitalistische Bewegung darauf bestehen, dass weder Staatsgewalt noch Medien die Straßenverkehrsordnung für den Widerstand gegen die autoritäre Krisenpolitik zu bestimmen haben. Das heißt nicht, dass jede militante Aktion gut und jede Action nötig ist. Im Gegenteil setzt Militanz immer ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit voraus und darf vor allem keine Unbeteiligten gefährden. Gerade deswegen ist aber das Strafgesetzbuch, das mit der kapitalistischen Eigentumsordnung stets auch Ohnmacht und Armut in Mitten von Reichtum absichert, ganz sicher kein Maßstab für antikapitalistische Aktionen. Eine Linke, die sich ernst nimmt, sollte daher die ausgerechnet von Seiten des hessischen Innenministers – und mithin Chefs des größten Gewaltapparates am Ort – gestellte Forderung nach „Distanzierung“ und „Gewaltverzicht“ als das behandeln, was sie ist: Eine Unverschämtheit. Die Lebensperspektiven von Millionen von Menschen weltweit der Sanierung eines menschenverachtenden Systems opfern und dem Widerstand dagegen dann auch noch Vorschriften machen wollen – das könnte fast Lustig sein, wenn es denn nicht immer wieder funktionieren würde.
Moving targets
Dabei ist es natürlich richtig, was gegen uns Freundinnen und Freunde der radikalen Kritik und Praxis immer wieder angeführt wird: Den Kapitalismus als soziales Verhältnis kann man nicht kaputt schlagen und die Auseinandersetzung mit der Polizei bietet keine Perspektive. Auch lässt sich – wie von reformistischer Seite gerne eingewendet wird – mit einer radikalen Kritik des Kapitalismus hierzulande bisher noch kein Blumentopf gewinnen, geschweige denn eine Massenbewegungen lostreten. Dabei wäre diese doch angesichts der rasanten sozialen Verschärfungen in ganz Europa vielleicht wenigstens ein erster Schritt. Doch auch wenn wir keinen Masterplan zur Revolution haben, übersieht solch wohltemperierter Realismus immer wieder das Naheliegende: Es ist nicht die radikale Kritik, die die Zwänge von Staat, Nation und Kapital ins Werk setzt. Der Überbringer der schlechten Nachricht ist nicht ihr Verursacher. Daher bringt es nichts, sich und den Leuten immer wieder einzureden, dass die Lage schon nicht so schlimm sei, wie sie tatsächlich ist. Also zu meinen, dass das alles mit ein bisschen Vermögensteuer hier, ein bisschen Bankenregulierung da und auch wenig Bewegungsrummel dort schon in Ordnung kommen wird. Mal ganz abgesehen davon, dass offenbar nicht einmal so ein reformerisches Minimalprogramm – wie die seit Jahren so friedlichen wie erfolglosen Vorschläge einer alternativen Wirtschaftspolitik zeigen – ohne militante soziale Kämpfe gegen Staat und Kapital umsetzbar ist.
Denn der Kapitalismus funktioniert seit jeher nur, weil die Wirtschaft um der Verwertung und eben nicht der Bedürfnisse willen läuft – ganz egal, wie viel irgendwelche Banker verdienen. Es ist dieses einfache kapitalistische Prinzip, dessen selbstzerstörerische Wirkung heute auch in den westlichen Metropolen immer deutlicher wird. Denn es gehört eben zu den verrückten Widersprüchen des Kapitals, dass dessen ungeheurer Produktivitätssprung durch Digitalisierung und Automatisierung nicht etwa ein gutes Leben für alle ermöglicht hat. Im Gegenteil: Die Arbeit wurde verdichtet, das Arbeitstempo beschleunigt und der Leistungsdruck erhöht. Weltweit müssen sich immer mehr Menschen zu den schlimmsten Bedingungen verkaufen, weil ihre Arbeitskraft gemessen am gültigen Produktivitätsniveau immer weiter entwertet wird. Zu den Widersprüchen des Kapitalismus gehört aber auch, dass er sich damit die eigenen Grundlagen entzieht. Denn eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beruht, stößt an Grenzen, wenn sie diese Arbeitskraft in wachsendem Maße überflüssig macht. Die weltwirtschaftliche Dynamik wird schon seit über dreißig Jahren vor allem durch eine immer größere Aufblähung von Spekulation und Kredit in Gang gehalten. Das Kapital ist also an die Finanzmärkte ausgewichen, weil die vielgelobte Realwirtschaft selbst keine ausreichenden Anlagemöglichkeiten mehr bot. Die Staaten verschuldeten sich, um ihre Haushalte zu decken und immer mehr Menschen finanzierten ihren Konsum direkt oder indirekt auf Pump. Die Grenzen dieses Krisenaufschubs sind nun erreicht. Grund zur Freude ist das nicht. Die Folgen werden weitere, drastische Verschlechterungen sein. Denn nun entlädt sich das gesamte aufgestaute Krisen und Entwertungspotential der letzten dreißig Jahre mit voller Wucht. Die staatliche Politik hat allenfalls Einfluss auf das Tempo und den Verlauf dieses Prozesses. Grundsätzlich aufhalten kann sie ihn nicht.
Die aktuelle Krise markiert das Ende des neoliberalen Glücksversprechens von „Wohlstand und Demokatie“ und damit erreicht die chronische Krise des Kapitalismus, die sich schon in den 1970er Jahren abzeichnete, eine neue Stufe. Diese Krise ist also nicht die eines spezifischen „Raubtierkapitalismus“ wie unter Mobilisierung antiamerikanischer Emotionen mit teils deutlich antisemitischem Einschlag häufig behauptet wird. Vielmehr zeigt sich nun, dass die Welt für die armselige kapitalistische Ordnung längst zu reich ist. Denn: Nicht die „Spekulanten“ und die Finanzmärkte sind das Problem, sondern der Wahnsinn einer Gesellschaft, die Gebrauchswerte nur als Abfallprodukt gelingender Kapitalverwertung produziert. Eine Rückkehr zu einem scheinbar soliden, auf dem Einsatz von Massenheeren der Arbeit gegründeten Kapitalismus ist insofern weder möglich noch wünschenswert. Aber jedes Opfer, das nun abverlangt wird, um die zerstörerische Dynamik dieser widersinnigen Produktions- und Lebensweise weiter in Gang zu halten, ist ein Hohn auf das gute Leben, das längst möglich wäre: in einer Gesellschaft jenseits von Warenproduktion und Staat. Theoretische wie praktische Radikalität ist vor diesem Hintergrund keine Frage des Lifestyles, sondern der Ehrlichkeit.
Join us in action
Es wird immer deutlicher: Die Krise selbst stellt die Systemfrage. Es kommt daher darauf an, wie wir sie beantworten. Denn auch wenn die Chancen für eine emanzipatorische Antwort nicht gut scheinen und wir vielleicht tatsächlich „auf verlorenem Posten“ (Slavoj Žižek) stehen, stehen wir doch nicht mit dem Rücken zur Wand. Der ideologische Kitt des Kapitalismus beginnt in vielen Ländern zu bröckeln, während gleichzeitig die technischen Möglichkeiten das menschliche Elend und die Gewalt der Krisenverwaltung weltweit als offensichtlich absurd kennzeichnen: Obdachlose vor leeren, aber polizeilich bewachten Häuser in den USA, Erhöhung des Renteneintrittsalters bei hoher Jugendarbeitslosigkeit in Italien, Erhöhung der Wochenarbeitszeit trotz Produktivitätszuwachs in der BRD, usw. usf. Insofern ist eine klare antikapitalistische Perspektive keine abstrakte Pflichtübung. Vielmehr kann sie in Frankfurt wie in Athen unmittelbar daran anknüpfen, dass es heute um den Kampf um unsere eigenen, banalen Lebensinteressen geht. Dieser Kampf muss zwar wesentlich im Alltag stattfinden, aber in einer Situation in der insbesondere hierzulande noch weitgehend Ruhe herrscht, kann die symbolische Auseinandersetzung soziale Prozesse anstoßen. Und das ist bitter notwendig. Auch ohne in den klassischen linken Alarmismus zu verfallen lässt sich schließlich festhalten, dass ein „Weiter so“ keine Perspektive ist. Die kapitalistische Standortkonkurrenz lässt nur noch die Varianten einer grenzübergreifenden Vernetzung und Radikalisierung sozialer Kämpfen – d.h. insbesondere einer Solidarität jenseits der Nationalstaaten – oder einen weiteren Wettlauf in den Abgrund zu. Daher gilt: Genauso wenig, wie eine populistischen Bankenkritik die Leute zu AntikapitalistInnen macht, ist die identitäre Kultivierung der eigenen Enttäuschung im Bewegungsbashing sinnvoll. Sie ist nur eine andere Variante des Einrichtens im krisenhaften Normalzustand. Denn grundsätzliche Veränderung ist noch immer aus Handlungen entstanden, die zur Bewegungen wurden. Diese Aufgabe wird den Menschen guten Willens gerade heute kein revolutionäres Subjekt und keine List der Vernunft abnehmen. Es liegt daher jetzt an der Linken, eine emanzipatorische Kritik an dem Gewaltverhältnis von Staat, Nation und Kapital praktisch wie theoretisch in das Zentrum der sozialen Auseinandersetzung zu bringen. Die Blockuppy-Aktionstage bieten mit ihrer internationalen Mobilisierung gegen die autoritäre Krisenpolitik und Gästen aus ganz Europa dazu zahlreiche Anlässe.
Join the Actiondays – Für ein Ende der Gewalt – Fight Capitalism 100%
Kommt zum Umsganze-Barrio auf dem Camp von Blockupy am 16. und 17. Mai, beteiligt euch an der Blockade der EZB am 18. Mai und macht mit beim antikapitalistischen Block auf der internationalen Großdemonstration am 19. Mai!
autonome antifa [f], April 2012