Kultureller Rassismus und staatliche Bevölkerungspolitik
Dass der Unterschied zwischen beispielsweise den Grünen und den Freien Wählern eher in der Wortwahl und weniger in der Sache – also der Zustimmung zur angeblichen Notwendigkeit einer staatlich sanktionierten Einteilung und Ausgrenzung von Menschen – liegt, hat mit der strukturellen Einrichtung der kapitalistischen Gesellschaft zu tun. Auf dem kapitalistischen Weltmarkt wird um den nationalen Anteil am global produzierten Reichtum konkurriert. Um zum Erfolg zu kommen sind in der Standortkonkurrenz nicht zuletzt die weichen Faktoren, d.h. beispielsweise der Bildungsgrad der Bevölkerung, ihre Disziplinierung und Strebsamkeit, entscheidend. Daher betreibt der Staat als, im Zweifelsfall, auch gewalttätiger Garant dieser Ordnung schon immer Bevölkerungspolitik. Das heißt er versucht seinen BürgerInnen eine bestimmte Lebensweise nahezulegen bzw. durch Mechanismen sozialer und rassistischer Ausgrenzung überhaupt erst ein entsprechendes Staatsvolk zu konstruieren. Dazu kann er oft genug auf den vorauseilende Gehorsam und die nationalistische Zustimmung großer Teile eben dieses „Volkes“ zählen. Staatliche Politik ist insofern immer auch Bevölkerungspolitik, in deren Kontext „Integration“ letztlich nur Unterordnung, Zurichtung und Ausgrenzung bedeuten kann. An diesem grundsätzlichen Zwang zur Kontrolle der Bevölkerung in der kapitalistischen Staatenkonkurrenz setzt der kulturelle Rassismus der Freien Wähler und von Thilo Sarrazin an. In der Krise des Kapitalismus, wenn die gesellschaftlichen Ressourcen knapper werden, dient er dazu, der sozialen und rassistischen Ausgrenzung, die sich nicht zuletzt in der Verweigerung gleicher Rechte für alle hier lebenden Menschen zeigt, eine kulturelle und so angeblich unpolitische Begründung zu verpassen.Im Gegensatz zum klassischen, völkischen Rassismus der NPD geht der kulturelle Rassismus dabei nicht hauptsächlich von biologischen Eigenschaften, wie z.B. der Hautfarbe, sondern – scheinbar modern – eher von kulturellen und religiösen Unterschieden aus. „Kultur“ und „Religion“ denkt er allerdings genauso als tendenziell unveränderbare und widerspruchslose Gebilde, denen die einzelnen Menschen untergeordnet werden müssen. So legitimiert auch der kulturelle Rassismus bestehende Ungleichheiten und Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Damit zielt er momentan vor allem auf die Ausgrenzung moslemischer EinwanderInnen. Dass der Bezug der RechtspopulistInnen auf Frauenemanzipation und Menschenrechte dabei vor allem taktischer Natur ist, zeigt sich schon daran, dass sie sich mit den sonst kritisierten religiösen Fundamentalisten in Bezug auf die Interpretation „des“ Islams sehr einig sind. Dagegen ist, wie vor allem die aktuellen Aufstände in Tunesien, Ägypten und im Iran zeigen, eine fortschrittliche Position nicht schwer zu bestimmen: Emanzipation, Freiheit und Gerechtigkeit sind keine „kulturellen Werte“, nicht „östlicher“ oder „westlich Natur“, sondern Bestandteil eines globalen Projekts der sozialen Befreiung.
Perspektiven? Für Alle!
Das Perfide an der rechten Verklärung sozialer Probleme zu kulturellen Konflikten ist aber nicht nur, dass sie die bestehenden Besitz- und Machtverhältnisse absichert. Vielmehr noch ist der kulturelle Rassismus auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Denn wenn der kapitalistische Zwang zur Konkurrenz aller gegen alle nicht angetastet wird und folglich immer nur wenige Plätze auf dem Karussell gesellschaftlicher Teilhabe frei werden, können rassistische Ideologien als angeblich natürliche Anspruchsberechtigungen und Formen autoritärer Gemeinschaft für viele Menschen tatsächlich attraktiv erscheinen. Die große Zustimmung für Sarrazin in Deutschland, aber auch die zunehmende Bedeutung rechter bis faschistischer Gruppen, wie etwa der Grauen Wölfen, bei migrantischen Jugendlichen zeigen deutlich, wie sich reaktionäre Krisenlösungen gegenseitig die Bälle zuspielen können. Da der Kapitalismus immer wieder Ausschluss, Diskriminierung und Gewalt erzeugen muss, greifen auch die gutgemeinten Appelle für „mehr Toleranz“ und ein „friedliches Zusammenleben“ viel zu kurz. Denn das so nervtötende wie panische Rennen, Rackern und Rasen des „Humankapitals“ in der Konkurrenz ist zugleich Grund und Ergebnis der Ideologie kultureller Schicksalsgemeinschaften wie staatlicher Bevölkerungspolitiken. Dagegen braucht es keine „Toleranz“, sondern eine fortschrittliche Bewegung, die praktisch beweist, dass die Gesellschaft im Sinne von gleichen Rechten und Emanzipation für alle Menschen veränderbar ist. Ohne eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen wird das nicht funktionieren. Die Ideologie, dass der Kapitalismus die beste aller möglichen Welten sei, ist schließlich erst die Grundlage für die Lüge, dass Menschen von „ihrer“ nationalen oder religiösen Kultur bestimmt und dieser untergeordnet sein müssten. Diese Lüge wird sich nur aus der Welt schaffen lassen, wenn wir beweisen dass Geschichte machbar ist. Sowohl gegen die Peitsche sozialer und rassistischer Ausgrenzung, wie auch das vergiftete Zuckerbrot einer kulturell verbrämten Integration ins nationale Kollektiv und die Degradierung der Menschen zum Objekt staatlicher Bevölkerungspolitik, setzen wir daher die Perspektive auf eine Gesellschaft, in der jeder ohne Angst verschieden sein kann.
Kundgebung gegen die Wahlkampfveranstaltung der Freien Wähler Frankfurt
Donnerstag, 17.3. um 18:30 Uhr Südbahnhof-Ffm