Im April diesen Jahres griffen über 15, teilweise mit Zaunlatten bewaffnete, Neonazis mitten im Frankfurter Sauf- und Kneipenviertel Alt-Sachsenhausen an einem Samstagabend vier Antifaschisten an und verletzten diese erheblich.
Dies nehmen wir zum Anlass eine Demonstration gegen die Neonazis und ihr scheinbar „unpolitisches“ Umfeld zu veranstalten.
Also: 22.Oktober 2005 19 Uhr Südbahnhof Frankfurt-Sachsenhausen
Im April diesen Jahres griffen über 15, teilweise mit Zaunlatten bewaffnete, Neonazis mitten im Frankfurter Sauf- und Kneipenviertel Alt-Sachsenhausen an einem Samstagabend vier Antifaschisten an und verletzten diese erheblich. Einige der Nazis wurden direkt nach
dem Angriff festgenommen. Laut Augenzeugenberichten kamen sie aus dem Musiklokal „Oberbayern“, in dem sie
offenbar bis dahin ungestört „gefeiert“ hatten, ohne dass sich jemand daran gestört hätte – obwohl einige von ihnen durch entsprechende T-Shirts und Aufnäher als Neonazis erkennbar waren.
Kein Einzelfall in Frankfurt-Sachsenhausen. Obwohl Stadtverwaltung und Polizei aus Sorge um den Ruf des „Standort Frankfurt“ unisono erklären, in Frankfurt gäbe es keine Naziszene und rechte Übergriffe auf Andersdenkende, JüdInnen und MigrantInnen verschwiegen
werden, geben sich bekannte Rechtsextreme aus Südhessen in Sachsenhausen regelmäßig ein Stelldichein. Immer wieder sind hier Gruppen von Neonazis und rechtsextreme Skinheads anzutreffen, die sich mit Aufnähern wie „White Power“ und T-Shirts mit dem Antlitz des Hitler-Stellvertreters und verurteilten Kriegsverbrechers Rudolf Hess keine große Mühe geben, ihre Einstellung zu verbergen. Oft mit
dabei: Mitglieder und Umfeld der sogenannten „Freien Nationalisten Rhein-Main“, die bundesweit auf Nazi-Aufmärschen vertreten sind und deren führende Mitglieder gerade dabei sind, in der hessischen Provinz, in Butzbach-Hochweisel ein „Nationales Zentrum“ zu errichten.
Zwischen Kneipen, die für Prolls aus der Umgebung gerne „Böse-Onkelz Abende“, „Tequilla Partys“ und „Schlagerfeten“ veranstalten, tummelt sich somit oft alles was das „nationale Herz“ begehrt: von rechten Prolls bis zu organisierten Neonazis. Dabei kommt es
immer wieder zu Übergriffen und Auseinandersetzungen mit MigrantInnen und anderen, die nicht ins „deutsche Weltbild“ passen. Für Polizei und Stadtverwaltung wird das dann – wider besseren Wissens – unter der Rubrik „Kneipenschlägerei“ abgehakt. Doch es ist weit mehr
als das: Für die organisierte Neonazi-Szene der „Freien Kameradschaften“ ist es ein Ziel, „endlich wieder“ als Teil einer normalen Alltags- und Subkultur aktzeptiert zu werden. So wird dem Nachwuchs Stärke demonstriert und hier werden Kontakte geknüpft. Ansätze dazu sind bei weitem (nicht nur) in Sachsenhausen vorhanden. Für viele Türsteher, Wirte und Gäste sind Nazis und ihre Aktionen oft kein Problem mehr. Es gilt, „solange die mir nichts tun ist uns doch egal“. Schließlich sei die Überzeugung der Nazis „halt eine Meinung wie jede Andere“. Dabei hat sich zwar das Auftreten, die Form der Nazi-Bewegung inzwischen modernisiert – statt reiner Skinhead-Kultur machen sie inzwischen auf poppig; es gibt Nazi-Metal und sogar Nazi-Hip-Hop mit entsprechendem Dresscode. Nichts geändert hat sich jedoch am Inhalt: rassistische Hetze, Sozialdarwinismus, Hass auf die Aufklärung, verschwörungstheoretischer Antisemitismus, extremer Nationalismus, autoritärer Führerkult, etc
pp. sind, was die NeoNazis nach wie vor „anzubieten“ haben. Dem gilt es – natürlich – entgegenzutreten. Denn nur dort, wo sich den Nazis kein entschlossener Widerstand entgegengestellt hat, konnten sie sich bisher entfalten. Nun sind Sachsenhausen und Frankfurt nicht zuletzt
wegen der vielfältigen antifaschistischen Aktivitäten, dem relativ liberalen öffentlichen Klima und der Bevölkerungsstruktur sicherlich weit davon entfernt, für die (gesamtgesellschaftlich immer noch unbedeutende) Naziszene eine „nationale befreite Zone“ wie im Osten – zu sein. Und werden es wohl auch nicht werden. Dass sich aber bekennende Neonazis, trotz der überall zu hörenden bürgerlichen
Bekenntnisse „gegen Rechtsextremismus“, zunehmend in der sprichwörtlichen „Mitte der Gesellschaft“ ungestört entfalten können, verweist auf gesellschaftliche Verhältnisse und eine Entwicklung, gegen die eine erfolgreiche antifaschistischen Praxis mehr braucht als den Versuch, die inzwischen allzu oft als „normal“ empfundenen Nazis zu skandalsieren.
rechter Konsens
Auch wenn es spätestens seit dem Antifa-Sommer 2000
des rot-grünen Projektes zum guten Ton der „Berliner
Republik“ gehört, sich in Politik, Kultur und
Wirtschaft deutlich gegen Neonazis zu positionieren,
wird bei genauerem Hinsehen deutlich, wie wenig dies
mit einer inhaltlich begründeten Gegnerschaft zum
nationalsozialistischen Projekt zu tun hat. Zwar wird
der Nationalsozialismus mit seinen Produkten Zweiter
Weltkrieg und Holocaust anlässlich der entsprechenden
Gedenktage als der Gegenpol zur bürgerlichen
Demokratie charakterisiert; wenn es aber auf die,
gerade nach dem Wahlsieg der NPD in Sachsen ständig
beschworene, „inhaltliche Auseinandersetzung“ ankommen
soll, herrscht gemeinhin großes Schweigen. So wird den
Nazis vor allen Dingen vorgeworfen, dass sie sich
nicht an die formalen Spielregeln der Demokratie
halten würden, dem Image des „Standort Deutschland“
schaden und ihre wirtschaftlichen Vorschläge nicht
realistisch, bzw. finanzierbar seien. Nicht etwa die
Überzeugungen der Nazis gelten hier also als Problem,
sondern die „Radikalität“ ihres politischen Ausdrucks.
Kein Wunder, schließlich ist die grundsätzliche
inhaltliche Übereinstimmung zwischem rechtem Rand und
der Mitte der Gesellschaft in vielen Punkten kaum zu
übersehen. Vom weit verbreiteten Bezug auf das
Konstrukt von Nation und Staat als
„Schicksalsgemeinschaft“, deren „Sachzwängen“ sich der
einzelne Mensch letztlich unterzuordnen hat, über die
Idealisierung der (Lohn-)Arbeit als Sinnstiftung und
Bedingung für den Wert des Menschen bis hin zur
Aktzeptanz des „natürlichen“ Gesetzes, dass der
Stärkere überlebt, besteht zwischen bürgerlicher Mitte
und Neonazis kein tiefer Dissenz.
Ob sich das im Konkreten als Hetze gegen angebliche
„Sozialschmarotzer“ (CDU) oder eben „Volksschädlinge“
(NPD) äußert, ist da eher eine Frage der
Parteipolitik. Was sich in der angeblich großen
Politik abzeichnet, spiegelt sich auch im
Alltagsbewusstsein. Durch die, mit der Unterordnung
menschlicher Bedürfnisse unter die Sachzwänge des
Standortes im kapitalistischen Wettbewerb
einhergehende Entpolitisierung der Gesellschaft
verwischen die inhaltlichen Vorbehalte der Demokraten
gegenüber den Nazis. Wo das Leben nicht gestaltbar,
nicht Geschichte ist, sondern als Schicksal erscheint,
sind Meinungen eben wirklich bloß Geschmacksache über
die sich – ganz dem Spichwort entsprechend – zwar
reden aber nicht (mal) streiten lässt. Es bedarf in
diesem Sinne nicht extra rassistischer
Unterschriftkampagnen o.ä. für die Annährung zwischen
Mitte und rechtem Rand. Das heißt allerdings
keineswegs, dass die bürgerlichen Kräfte sich langsam
aber sicher mit den Neonazis arrangieren würden. Schon
die Notwendigkeiten der „modernen“ Verwaltung des
Standortes stehen dem entgegen: Zu – im schlechtesten
Sinne – unrealistisch erscheinen die realpolitischen
Vorschläge der Nazis (wie z.B. der von der NPD
geforderte Austritt aus der EU) momentan. Sehr wohl
aber bedeutet dies, dass ein gesellschaftlicher
Rechtsruck stattfindet, von dem die Nazis
grundsätzlich profitieren können. Dieser basiert auf
einem rechten Konsens, der Nazis wie auch bürgerliche
Nazi-Gegner vereint. Nicht in der Form einer
einheitlichen Weltanschauung, sondern vielmehr als
Sammelsurium alltäglicher Überzeugungen, die – wie
z.B. ein autoritäres Verständnis von Gesellschaft
(„Gemeinsinn statt Eigensinn“) und die Verachtung von
Schwächeren – weit über die Naziszene hinaus als
selbstverständlich gelten. Dabei ist eine neue,
paradoxe Form der Instrumentalisierung der Nazis durch
den Staat zu beobachten. Statt – wie bei der
faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 – als
Stichwortgeber zu dienen, sind die Nazis „der Dreck an
dem der Saubermann seine weiße Weste“ zeigen kann. Sie
werden offiziell so bekämpft, wie man sie braucht um
via Vergleich mit ihnen eine effektiv rechte Politik
als fortschrittlich zu verkaufen. Keinen Abbruch tun
diese publikumswirksame Gegenaktivitäten aufgrund
realpolitischer Sachfragen aber der grundsätzlichen
Übereinstimmung. So kann man zwar offen und durchaus
ehrlich aus formalen Gründen „gegen Nazis“, jedoch
inhaltlich mit ihnen weitgehend einer Meinung sein.
So sehr dies schon, siehe oben, für die Sphäre der
(Partei-)Politik gilt, so wird dies beim Blick auf die
Alltagskultur noch deutlicher.
Du und deine Freunde…
Kaum einer der Schweigenden aus der Masse, die mit
Nazis zusammen Bier trinkt, in Vereinen Fußball
spielt, auf Dorffesten feiert, etc würde sich wohl
selbst als „rechts“ bezeichnen. Meistens hat man sogar
zumindest hin und wieder mal ein mulmiges Gefühl, aber
letztlich sind „die Rechten“ doch nett und höflich –
von daher kommt „man“ gut miteinander aus. Die böse
Toleranz gegenüber Neonazis speist sich jedoch auch
gerade hier aus der Unfähigkeit, überhaupt einen
grundsätzlichen Streitpunkt mit ihnen auszumachen. Je
mehr die Nazis via Medien inhaltsleer als „gefährlich“
und „falsch“ gekennzeichnet werden, desto mehr können
sie damit „überraschen“ dass sie im Alltag keine
Monster sein müssen. Das intelektuelle Nivau, auf dem
sich solcherart Prozesse abspielen ist zwar mit der
Bewertung unterirdisch noch verharmlost, zeigt aber
trotzdem, dass Antifaschismus in Zeiten einer sich
auflösenden gesellschaftlichen Vernunft den Kampf
gegen die „normale“ Dummmheit als Vorraussetzung hat.
Das heißt in der Konsequenz nicht zuletzt auch die
Nazi-Bewegung als identitäres Projekt ernst zu nehmen
und anzugreifen. Denn auch wenn die Neonazis
gesellschaftlich schon lange keine Stichwortgeber mehr
sind und die reaktionäre Formierung des Standortes
Deutschland aus seiner Mitte heraus organisiert wird,
sind die Nazis ein real gefährliches Angebot, die eben
daraus folgende Legitimationskrise zu lösen. Nicht in
Form der Übernahme der politischen Macht, sondern als
reale Scheinopposition plus extrem identitärem
Einrichten in den miesen Verhältnis und der Jagd auf
alle, die dies stören, indem sie – ob nun gewollt oder
nicht – aus der Reihe tanzen. Daraus ergibt sich auch
die, mal wieder in Mode gekommene, Selbststilisierung
der Naziszene als „revolutionär“. Wo „Deutsch-sein“
nicht mehr den automatischen Zugang zu den sozialen
Sicherungssystemen bedeutet, entsteht faschistische
„Systemfeindschaft“. Diese will und kann dabei jedoch
so wenig über die Grundprinzipien des kapitalistischen
Systems hinaus, wie aus ihr gerade deswegen die
Möglichkeit zur Schaffung einer „revolutionären“
Identität erwächst. Vor allem, da die Kategorie
Identität nur als Teil dieser Gesellschaft Sinn macht
und somit per se nicht über diese hinaus kann. Der
nämlich, dass man allen ernstes der schlechten
Gegenwart mit dem Anspruch eines zukünftigem Remakes
der noch schlechteren Vergangenheit beikommen will.
Frei nach dem Gesellschaftskritiker Pohrt lässt sich
schließlich feststellen, dass die Faschisten den
unheilvollen Gang des Kapitalismus nicht aufhalten,
wohl aber noch mehr Unheil anrichten können wie in
Teilen Sachsens schon real zu beobachten, wo NPD und
„Freie Kameradschaften“ weitgehend ungestört agieren
konnten, entpuppt sich das nationalsozialistische
Ticket vor allen Dingen als Angebot zur Schaffung
einer nationalen Alltagskultur mit deren objektiver
Schäbig- und Menschenfeindlichkeit es sich in den
Augen der Nationalsozialisten in den sich
verschärfenden Verhältnissen ganz angenehm leben läßt.
Die Etablierung einer vielfältigen
nationalsozialistischen Kultur im Alltag jenseits der
Sphäre des Politischen ist das, was die Nazi
mittelfristig anzubieten haben. Ihr heutiger Endsieg
wäre also ein im schlechtesten Sinne unpolitischer.
Linke Perspektiven ?
In der heutigen Situation muss daher die Frage nach
den Wirkungsmöglichkeiten antifaschistischer Praxis
neu gestellt werden. Schließlich sind schon die
Möglichkeiten von Demonstrationen zur effektiven
Skandalisierung der Nazis durch den rechten Konsens
begrenzt. Indem dieser aber aktiv thematisiert wird,
kann, wenn überhaupt, den Nazis erst wirklich das
Wasser abgegraben werden. Dies braucht es nicht, um
aus antifaschistischem Engagement etwas revolutionäres
zu machen, sondern vielmehr, um Antifaschismus gegen
den nicht enden wollenden gesellschaftlichen
Rechtsruck überhaupt wirksam zu machen. In diesem
Sinne ist eine Demo, die den Versuch unternimmt, nicht
nur die Nazis, sondern vielmehr deren „unpolitisches“
Umfeld und dessen rechten Konsens zu skandalisieren
ein Schritt in die richtige Richtung. Klar ist aber
auch, dass solch eine Demo nur ein Anfangspunkt sein
kann.
Dass dabei eine grundsätzliche Äuflösung der, so
langweiligen wie gefährlichen, faschistischen
Bedrohung nur von der endgültigen Überwindung des
Eisberges aus Nation und Kapital zu erwarten ist –
dessen Spitze die Nazis nach einer alten
Antifa-Weisheit ja bloß darstellen – verweist
darüberhinaus auf die Notwendigkeit, eine radikale
Gesellschaftskritik zu entwickeln und wirksam zu
machen, die dann wirklich „aufs Ganze“ geht. Eine
Praxis, die effektiv im hier und jetzt gegen die Nazis
und ihre Freunde wirkt, ist jedoch zwingende
Voraussetzung für dieses notwendige Projekt. Denn die
fortschrittliche Entwicklung einer radikalen
Gesellschaftskritik ist in Zuständen in denen Nazis so
normal wie ihre Übergriffe sind nicht zu machen.
Konkret heißt das, zuerst einmal die Absage an den
kapitalistischen Zwang zu formulieren, dass man seine
– inzwischen komplett irre weil gesellschaftlich
unnötig gewordene -„Nützlichkeit“ entweder durch das
präventive Einprügeln auf jene, die im Kapitalismus
als noch schwächer und überflüssiger erscheinen als
mensch selbst, oder durch die Unterordnung unter die
„Sachzwänge“ des Marktes beweisen zu müssen. Die
daraus erst zu entwickelnde reale Perspektive auf
eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus, in der
jeder ohne Angst verschieden sein kann, bleibt vorerst
nur ein Anti zur bisherigen Aneinanderreihung von
Katastrophen, die beschönigend Weltgeschichte genannt
wird. Genauer ist es im Moment noch nicht zu haben. Um
die Nazis und ihre Freunde in Frankfurt-Sachsenhausen
und darüberhinaus in ihrer Ruhe zu stören und ihrem
Treiben damit einen Strich durch die Rechnung zu
machen reicht es jedoch allemal.
Gegen Dich und deine Freunde… Den rechten Konsens
durchbrechen – Nazis bekämpfen!
Am 22.Oktober 2005 um 19 Uhr am
Diesterwegplatz/Südbahnhof in Frankfurt-Sachsenhausen