Wer „unpolitisch“ sein möchte, der hat die Parteinahme, welche er sich ersparen will, schon längst vollzogen – er dient der herrschenden Partei“ (Max Frisch)
Wir demonstrieren heute mit vielen anderen AntifaschistInnen gegen das Zentrum der offen nationalsozialistischen „Freien Kameradschaften“ in Butzbach/Hoch-Weisel. So weit, so gut. Überhaupt nicht gut ist allerdings, dass schon im Vorfeld der Demo in der Manier der sogenanten Totalitarismustheorie die Gleichsetzung von linken und rechten Positionen betrieben wurde. So fiel zum Beispiel dem Arbeitskreis Demokratisches Hochweisel nichts besseres ein, als sich „gegen Rechts- und Linksextremismus“ auszusprechen und nach eigener, ewiger Untätigkeit anlässlich der kleinen Spontandemo im Sommer erstmal davor zu warnen, mit weiteren Aktionen die Dorfgemeinschaft gegen den antifaschistischen Protest aufzubringen. Nun kann man von den Leuten in diesem Dorf ohnehin nicht schlecht genug denken: Schließlich fällt ihnen angesichts einer sich seit über einem Jahr direkt vor ihrer Haustür breitmachenden gewaltbreiten Naziszene nichts besseres ein, als erstmal vor „Chaoten und Linken“ zu warnen.
Da aber die Gleichsetzung von fortschrittlicher Gesellschaftskritik und faschistoider Regression gerade in letzter Zeit keineswegs eine Spezialität allein mittelhessischer Dörfer ist, doch ein paar Takte dazu. Die Totalitarismustheorie – die nicht nur Pate für die bekannten Bündnisse „Gegen Extremismus und Gewalt“, sondern auch für die sogenannten Verfassungs-schutzberichte steht – geht kurzgesagt von folgender Annahme aus: Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft sei das beste aller Systeme das menschenmöglich ist, da es Refomen ohne Gewalt möglich mache und zugleich den einzelnen Menschen ein Maximum an Rechten zuspreche. Alle Versuche an dieser bestehenden Ordnung grundsätzlich etwas zu ändern gelten diesem freiheitlich-demokratischen Bewusstsein als gleich „extremistisch“ – ergo böse. Höflich formuliert läßt sich diese Totalitarismus-Analyse als positivistischer Kurz-, bzw. Fehlschluss charakterisieren. Schließlich werden hier gelinde gesagt Äpfel mit Birnen verglichen; Will doch die Linke grundsätzlich die Verhältnisse überwinden, in denen der Mensch ein unterdrücktes und verlassenes Wesen ist. Dabei geht sie davon aus, dass dieser seine Geschicke selbst bestimmen kann. In fundamentalem Gegensatz dazu geht die Rechte gerade nicht von einer Veränderbarkeit menschlichen Verhaltens und gesellschaftlicher Verhältnisse aus, sondern argumentiert mit verschiedensten, angeblich „natürlichen Eigenschaften“, „Rechten“ und „Pflichten“ wie z.B. Nationalität, Familie, Arbeit, usw. Sie will also die Lüge, dass der Mensch keiner sei, auch noch wahr machen.
Diesen Widerspruch zwischen Rechts und Links versucht die bürgerliche Demokratie nun damit aufzulösen, dass das alles irgendwie gleichwertige Meinungen seien, die solange berechtigt sind, wie sich an die formalen Spielregeln der Demokratie halten. Ihr geht es nicht um Wahrheit – schon der Anspruch darauf ist jedem braven Verfasungsschützer verdächtig – sondern um Verwaltung.
Der Unterschied zwischen Links und Rechts ist also nichts weniger als der zwischen Wahrheit und Lüge, kurz: einer ums Ganze. Die bürgerliche Gesellschaft kann darin trotz alledem nur Meinungsverschiedenheiten sehen, weil sie keinen Begriff von Geschichte, sich ahistorisch gar selbst zum „Ende der Geschichte“ erklärt hat. Hier zeigt sich der ideologische Sinn der Totalitarismustheorie: Mit Hilfe der „beiden Extreme“ Links und Rechts konstruiert sich die bürgerliche Gesellschaft als neutrale Mitte und projiziert nicht zuletzt auch die Verantwortung für die faschistische Barbarei in etwas ihr Äußeres.
Probleme innerhalb der bestehenden Verhältnisse gelten ihr immer nur als Ausnahmen und Funktionsprobleme, wogegen z.B. gewalttätige Aktionen von „Extremisten“ immer gleich als Beleg für deren Wesen gelten sollen. Dabei hat die formelle Abgrenzung vom „Extremismus“ nicht zuletzt auch den Sinn, von den inhaltlichen Gemeinsamkeiten des rechten Rands und der sogenannten Mitte der Gesellschaft nicht reden zu müssen. Diese Ähnlichkeiten – von der Einschätzung des „Vater-Staat“ vor der „man“ ja nichts zu verbergen habe, über die Hetze „gegen Sozialschmarotzer“ bis hin zum sogenannten Patriotismus – drängen sich jedoch geradezu auf.
Geschichtspolitisch dient die Gleichsetzung von Rechts und Links in Deutschland darüber hinaus der Verharmlosung des Nationalsozialismus: Um von der Schuld des nationalen Kollektivs abzulenken, das den Zivilisationsbruch Holocaust auf dem Konto hat werden Handlungen aus ihrem Kontext gerissen und das Unvergleichbare verglichen. So kann man heute „nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ deutsche Großmachtinteressen mit Gewalt durchsetzen. Kein Wunder ist es in diesem Zusammenhängen, dass die Vordenker der Totalitarismustheorie, wie z.B die Chemnitzer Professoren Uwe Backes und Eckhadt Jesse, selbst aus einem neurechten Netzwerk stammen.
Aber – apropos „Gewalt“ – gerade bei diesem Begriff offenbart sich eines der Grundprobleme der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft: Sie kann sich selbst nicht erkennen, ist ihr eigerner dunkler Fleck. Trotz des Anspruchs, eine „vernünftige“ Gesellschaft zu sein, muss sie sich selbst – ihr kennt das aus dem Fernsehen – ständig auf sogenannte „Sachzwänge“ beziehen. Dem Anspruch Verwirklichung der „natürlichen“ Freiheit zu sein, entspricht ohne Not eine Realität die nur aus angeblichen Notwendigkeit besteht. Dementsprechend sterben genauso jährlich tausende MigrantInnen vor den Toren der Festung Europa, wie Kriege für Menschenrechte geführt und Menschen in den Arbeitsdienst gezwungen werden. Genauso wie auch die Übergriffen der Staatsmacht legal sein müssen und weltweit Menschen verhungern – alles keineswegs gewaltfrei. Die Frage nach grundsätzlicher Gewaltfreiheit steht im Moment angesichts einer gewalttätigen kapitalistischen Gesellschaft also ohnehin nicht auf der Tagesordnung. Sie wirklich zu stellen, würde die Frage nach einer Gesellschaft in der endlich jeder ohne Angst verschieden sein kann, d.h. Kommunismus implizieren – aber das ist eine andere Geschichte.
Hier und Heute muss es erstmal darum gehen, den bösartigen Schwachsinn der Totalitarismustheorie, der so chrackteristisch für dieses Land steht in dem man sich schon immer gerne für das autoritäre Unrecht und gegen die Unordnung entschieden hat, zurückzuweisen. Wenn man sich also endlich darauf einigen könnte, dass der Kampf um eine bessere Welt einer gegen die menschenverachtende Liebe zum eigenen Unglück, also gegen die durch Vaterland und Volk, Staat und Arbeit drohende schicksalhaftigkeit des eigenen Lebens, sein muss – dann wäre schon viel gewonnen. In diesem Sinne gilt es gerade den rechten Konsens ins Visier zu nehmen, der vom Nazi über den unpolitischen Proll bis zum ums Image des Standortes besorgten SPD Landrat alle darin vereint, vor allem anderen eins zu sein: ein starkes Stück Deutschland. Denn die Nazis, soviel ist sicher, kommen mit ihrem Zentrum aus einem gutem Grund nach Butzbach-Hochweisel – so wie die Fliegen zur Scheiße. Hier, wo die bürgerliche Gesellschaft so offensichtlich hinter sich selbst zurückfällt, weiter auf einen „Aufstand der Anständigen“ zu warten und stillschweigend die Gleichsetzung von Rechts und Links hinzunehmen würde dementsprechend nur eins bringen: das nämlich die antifaschistische Linke da ankommt, wo man das fortwesen faschistischer Tendenzen nicht mehr kritisiert, sondern thematisert – in der Mitte der Gesellschaft.
Ein radikaler und erfolgreicher Antifaschismus, der in diesem Zusammenhang nicht zum Teil des Problems werden will, kann also nur einer gegen das Recht des Stärken, gegen das Fressehalten und Pflicht erfüllen, gegen das Wegschauen und die Stammtische, gegen die Wut auf die Schwächsten, – also gegen dieses starke Stück Deutschland sein, das heute (einen Tag nach dem 61. Jahrestag der Auschwitzbefreiung durch die Rote Armee) Butzbach/Hoch-Weisel heißt.
In diesem Sinne:
Den rechten Konsens durchbrechen.
Gegen die Totalitarismustheorie und die Verharmlosung des Nationalsozialismus.
TURN LEFT – SMASH RIGHT !