28.01.11 – Dresden gut, alles gut?! Zur Kritik der Erinnerungskultur in Dresden oder Jeder Stadt den Naziaufmarsch, den sie verdient


Dresden, wir haben noch lange nicht genug!

Die Ereignisse am 13. Februar 2010 in Dresden waren zumindest in einer Hinsicht ein Erfolg für alle Antifaschist/innen: Die Organisation von Massenblockaden und zahlreiche Aktionen drum herum haben das erste Mal den Großaufmarsch der Nazis anlässlich des Gedenkens an die allierten Angriffe auf Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 verhindert. Es wurde dafür gesorgt, dass sich die rechte Szene der BRD in Dresden mal wieder einig war – diesmal allerdings einig in ihrem Frust anstatt einig in ihrer Stärke. Das erfüllt uns und alle anderen Menschen, die schon so einige bitterkalte und nervtötende Tage in Dresden verbracht haben, mit großer Freude.
Auch in anderer Hinsicht entsteht der Eindruck, dass sich in Dresden etwas tut. Ob dass ebenfalls ein Grund zu großer Freude ist – auch wenn es erstmal dazu einzuladen scheint – soll vorsichtig geprüft werden: Erstmals setzt 2011 nämlich auch der sächsisch-hauptstädtische Stadtrat ganz offiziell auf friedlichen Antifaschismus. Und zwar gleich mehrfach. Zunächst stilisierte die Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) sich selbst und die von gerufenen Stadtbürger/innen gebaute Menschenkette erfolgreich als die friedliche, stumme Verhinderungsmauer des Naziaufmarsches. Eine Behauptung, deren Absurdität schon alleine die Tatsache verdeutlicht, dass sich die glorifizierte Menschenkette letztes Jahr jederzeit in kilometerweiter Entfernung zur Route des Naziaufmarsches befunden hatte. Bald darauf bezieht sich Orosz jedoch auch eindeutig positiv auf die vom Bündnis Nazifrei – Dresden stellt sich quer! und No Pasarán! bundesweit organisierten Blockadeaktionen der Nazidemonstration, indem sie sie zum notwendigen Teil einer „Vielfalt der Erinnerungskultur“ in Dresden erklärt.
Das vereinnahmt nicht nur die Organisator/innen, welche die Politik im Vorfeld zu Straftätern erklärt hatte, sondern zeigt auch, dass hier gerade ein Diskurswandel stattfindet: Im Nachklapp des 13. Februars 2010 eignet sich die Dresdner Stadt einen Protest an, dem sie noch bis in die jüngste Vergangenheit ambivalent bis ablehnend gegenüberstand. Diese Nutzbarmachung der Blockaden durch den Dresdner Stadtrat zeigt exemplarisch eine Veränderung im Dresdner und auch im bundesdeutschen Gedenkzirkus auf, der brummkreiselartig und so vielfältig und bunt er sich geriert, so beständig Jahr für Jahr doch immer wieder eine Tradition fortschreibt, die die Kulturstadt Dresden und seine nationalsozialistischen Bürger des Jahres 1945 als friedliebende Opfer der Gewalt des Nationalsozialismus und seiner Alliierten vorstellt. Und dem nicht genug, wird der und die ahnungslose Talbewohner/in auch nach ´45 in der aktuellen Dresdner Gedenkgeschichtsschreibung nicht in Ruhe gelassen: die Gedenkknechtschaft des Realsozialismus mit ihren „ausgeklügelten Propagandaplänen“ (Orosz) des Antifaschismus als Zwang ersticken das individuell erinnernde Subjekt und muten ihm die zweite Bürde totalitärer Erinnerungsunfreiheit auf. Die „Friedliche Revolution“ beginnt aus Dresdner Perspektive des Jahres 2011 demnach im individuellen Erinnern ans Opfer Dresden, friedliebend und kettenbildend. Und so schlägt die trauernde Stadt nicht nur Leipzig im gedächtnispolitischen Lokalderby, wer die DDR als erstes in die Knie gezwungen hat, sondern vermag auch, in der Nacht der Kerzen und „Stille und Trauer“ am 13./14. Februar aufgeklärt und fraktionsübergreifend aus dem Elbtal heraus der Nation Deutschland erneut den Persilschein einer Opfernation als Zivilgesellschaft zu überreichen.

Weg mit dem Dresdner Gedenkzirkus!

Helma Orosz lobt also in einer Rede auf der Regionalkonferenz für Kriminalprävention in Dresden die „Vielfalt des Gedenkens“. Damit meint sie einerseits die Vielfalt der „Aktionsformen“ (Menschenkette, Heidefriedhof, Blockaden), andererseits aber auch eine Vervielfältigung der Gedenkanlässe: Zu besagter Nacht 13./14.2.1945 gesellen sich schon wieder friedlich die Novemberpogrome 1938 und die „Friedliche Revolution“ 1989. Durch die Inklusion der Blockaden in diesen Feiertage-Komplex werden diese kurzerhand zu einer Gedenkveranstaltung erklärt und damit dem städtischen Gedenkkorpus einverleibt. An mindestens einem Satz aus Orosz’ Präventionskonferenzrede lässt sich jedenfalls ablesen, wohin die Reise geht. Mit Blick auf die bislang zentrale Stellung des 13. Februars für Dresden betont sie: „Dabei bietet die Erinnerungskultur unserer Stadt so viel mehr, als ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.“ Der Eventcharakter nationaler Gedenkveranstaltungen verschafft sich hier schon terminologisch Ausdruck – etwas muss den Leuten ‘geboten werden’, handele es sich dabei auch um die Novemberpogrome. Die gewissermaßen inhaltliche und terminliche Monopolisierung des Gedenkens im Luftkrieg-Opfer-Diskurs soll zugunsten einer Pluralisierung der Gedenkanlässe aufgelöst werden. Mit anderen Worten: Ein bunter, postmoderner, neoliberaler Gedenkreigen tritt an die Stelle eines standardisierten, gleichsam fordistischen Nachkriegs-Gedenkklotzes, bei dem sich jeder individuell einreihen kann, nur die Nazis eben nicht.

Es bleibt dabei: Kritik der Nation

Im Zentrum jeder Kritik des Gedenkens sollte die Ablehnung jeglicher nationaler Gedenkveranstaltungen sein. Das Gedenken selbst ist es, was aus ideologiekritischer Sicht das Problem darstellt. Ob die Deutschen sich am Tag der Auschwitzbefreiung als geläuterte Nation, die ihre Vergangenheit erfolgreich aufgearbeitet hat, inszenieren, oder in Dresden zu Versöhnung und Völkerfreundschaft mahnen, bleibt im Endeffekt dasselbe: der Holocaust ist längst wesentlicher Teil der deutschen Identität geworden.
In dem Kontext muss zur Kenntnis genommen werden, dass sich die Regierenden mit der Kursjustierung der Dresdner Gedenkpolitik in den letzten Jahren zunehmend ‘links’ von der Bevölkerung positionieren. Der und die Dresdener Durchschnittsbürger/in dürfte noch immer die Bombardierung Dresdens als ungerechtfertigten Racheakt der Alliierten an den wehrlosen Elbflorenz-Bürger/innen begreifen, hinter deren selbst gemachten oder wenigstens familiär-heimelig kolportierten Leiderfahrungen die Shoah in gefühlter Bedeutungslosigkeit versinkt. Doch das deutsche Establishment hat es geschafft, der Weltöffentlichkeit glaubhaft zu versichern, dass sie aus der Geschichte gelernt haben. So ist das Auschwitz-Gedenken längst nationalideologisch gewendet und in eine Bereicherung der deutschen Identität verwandelt worden. Nur weil sich Deutschland in der Weltöffentlichkeit glaubhaft vom Nationalsozialismus abgegrenzt hat, ist es möglich, dass die wiederaufgebaute Frauenkirche heute als internationales Friedenssymbol gilt. Auch der amerikanische Präsident Obama muss bei seinem Deutschland-Besuch eine Stippvisite einplanen. Denn hier zeigt sich die selbstbewusste Kulturnation Deutschland: Gemeinsam mit dem Nazi-Terror-Regime wurden auch die Schätze der jahrhundertealten deutschen Kultur in Schutt und Asche gebombt. Die Auffassung der Deutschen als Volk, das seine Vergangenheit aufgearbeitet hat und in Dresden einmal im Jahr in der Lage ist Versöhnung zu gewähren, entspricht dem im Moment hegemonial vorherrschenden Nationalismus in Deutschland, der weltoffen und ganz normal schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkt. Auch dieser „moderne“ Nationalismus ist brutal ausschließend. Sein Zweck ist seit langem der Gleiche: Kollektive Gedenkveranstaltungen, so sehr sie auch vermeintliche Individualität des Gedenkens durch selbst gebastelte Kerzen oder in vereinzelter Trauer verbrachte Schweigeminuten suggerieren, unterstellen und erzeugen weltanschauliche Homogenität der Gedenkenden durch die ideologische Projektion einer homogenen Opfergruppe. Auch eine noch so linksradikale Perspektive kommt kaum weiter, wenn sie diesen Geschichtsbildern einfach nur eine vermeintlich objektivere Version entgegen hält. Bis zu einem gewissen Punkt ist Aufklärung als kritische Intervention in Geschichtspolitik durchaus möglich. Gegenüber Nazis helfen jedoch nur selten Argumente. Mit ihnen gibt es am 13. Februar sicher nichts zu diskutieren. Doch auch angesichts des hegemonialen Diskurses hilft Aufklärung nur bedingt; geht es doch in der Regel nicht um das Leugnen oder Erfinden von Fakten, sondern um deren Interpretation. Der einfache Verweis auf „Geschichtsrevisionismus“ geht daneben, wo Geschichte ständig neu geschrieben wird. Stattdessen geht es um die konkrete Kritik des nationalistischen Konstrukts und damit eines politischen Projekts, das die Geschichte mit aktuellen Zielsetzungen als Legitimationsfolie benutzt. Denn die nationale Inszenierung von Geschichte zielt – so unterschiedlich sie im konkreten Fall ist – stets auf die Konstruktion und Legitimation einer falschen Kollektivität, d.h. eines Kollektivs, das seinen Zusammenhalt wesentlich in der brutalen Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Störenfrieden auf dem Weg zum Erfolg auf dem kapitalistischen Weltmarkt und in der globalen Staatenkonkurrenz beweist. Angemessene Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Holocaust können demzufolge nur antinationalen Inhalts sein, weil die nationalidentitäre Wendung des Holocaustgedenkens in einen positiven deutschen Erfahrungsvorsprung vor der Welt die Opfer verhöhnt, die es vorgeblich ehren will.

Nie wieder Deutschland! Nie wieder nationales Gedenken! Nie wieder Nazis!

Das Weite gesucht und nicht gefunden!
Am 19. Februar ab nach Dresden, ab zu den Blockaden!

Informationen zu bundesweit organisierten Bussen zu den Blockaden.
…umsGanze! organisiert mit Busse aus Köln, Frankfurt und Berlin.