16.04.11 – Stadt für alle!


Gehört die Stadt wem?

Gentrifizierung, Mieterhöhungen, fehlender (bezahlbarer) Wohnraum, abgehängte Stadtviertel, Videoüberwachung – die Lebensbedingungen in den kapitalistischen Metropolen sind (gerade in Zeiten des Wahlkampfes) längst nicht mehr nur Themen linker Debatten und Kampagnen. Mittlerweile erheben Parteien und Initiativen aller politischen Spektren in Medien und Wahlkampfslogans den Anspruch darauf, die offensichtlichen Schwierigkeiten der gegenwärtigen Stadtentwicklung erstens erkannt zu haben und zweitens lösen zu können.

Dass es Klärungsbedarf gibt, das müssen wir vor allem Frankfurterinnen nicht sagen – warum die Grünen aber eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind, und Kampagnen „gegen Gentrifizierung“ meist zu kurz greifen, um die Widersprüche des Lebens in kapitalistischen Metropolen zu verhandeln, wollen wir im Folgenden verdeutlichen. Damit rufen wir euch nicht zuletzt dazu auf, euch an den vielfältigen Aktionen innerhalb des Frankfurter Netzwerkes „Wem gehört die Stadt?“ zu beteiligen und dort die Antwort auf die Frage, wem denn nun die Stadt gehört, in Konfrontation zu städtischer Planung, kapitalistischer Verwertung und staatlicher Bevölkerungspolitik zu suchen.

Stadt des Kapitals

Die Stadt, wie wir sie heute kennen, ist nur als Ausdruck der kapitalistischen Produktionsweise zu verstehen: Nach der mittelalterlichen Stadt entwickelte sie sich historisch als Handelszentrum, mit der Industrialisierung setzt die Landflucht der Bauern ein, die sich als ArbeiterInnen in den Fabriken der Städte verdingen mussten, mit ihrem Zuzug entstanden ArbeiterInnensiedlungen (wie zum Beispiel in Frankfurt-Fechenheim). In der Architektur und Struktur der Städte ist die Entwicklung der Stadtviertel nach sozialen Klassen immer noch sichtbar: Den großen und unwirtschaftlichen Bürgerhäusern, stehen die zweckmäßigen und nüchternen ArbeiterInnenwohnungen gegenüber. Und während die ArbeiterInnen stets in der Nähe der gesundheitsschädlichen Fabriken wohnten, um die Arbeitswege so kurz wie möglich zu halten, finden sich die Bürgerhäuser näher an den Handelsplätzen und an den sauberen Stadträndern. Die moderne Stadt ist also nicht etwas dem Kapitalismus äußerliches, das erst nachträglich vereinnahmt wird. Vielmehr ist sie bereits ein Ergebnis der sozialen Dynamik des Kapitalismus. Die Stadt steht im Kapitalismus schon immer unter den Zwecken von wirtschaftlicher Verwertbarkeit und staatlicher Kontrolle.

Über die konkrete Stadt ist mit dieser grundsätzlichen Bestimmung noch nichts gesagt. Auch die historische Entwicklung im Kapitalismus enthält eine begrenzte Offenheit, die ebenso Mega-Cities mit angrenzenden Slums (z.B. Mexico-City) wie Kultur- oder eben Bankenstädte hervorbringen kann. Die „Attraktivität“ einer Stadt bezüglich der vorhandenen Ressourcen, Lebensbedingungen, Jobs und Kultur hängt jedoch nicht zuletzt stets an den Zwängen kapitalistischer Standortkonkurrenz – schließlich ist im Kapitalismus letztlich fast alles eine Frage materieller Ressourcen. Gleichzeitig untergraben die Zwänge dieser Konkurrenz die Lebensbedingungen der StadtbewohnerInnen wieder. Der Flughafen macht Frankfurt als Stadt mit vielen Arbeitsplätzen und guter  Verkehrsanbindung z.B. attraktiv, während er gleichzeitig Lärm und steigende Mieten verursacht. Mit der Politik für den Flughafenausbau folgt die Stadtpolitik also dem „Sachzwang“ der Verwertung und senkt dabei zugleich den Lebensstandard für viele. Die Dynamik der Verwertung verursacht so stets konkrete Veränderungen im Raum der kapitalistischen Stadt: Die neue Welle der Durchökonomisierung nach der vorletzten Krise des Kapitalismus Mitte der 70er Jahre, zeigt sich im städtischen Raum einerseits durch eine Verdichtung von Raum und Zeit, wenn Metropolen infrastrukturell (ICE-Trassen) näher zusammenrücken, während die Umgebung immer weiter abgehängt wird. Andererseits stellen die Städte den neoliberalen WissenarbeiterInnen „individualisierte“, d.h. zur gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise passende, Wohn- und Arbeitsbedingungen zur Verfügung, nicht zuletzt sichtbar in der immer weiter zunehmenden Produktion meist leerstehender Bürogebäude. Die moderne Stadterweiterung (siehe Europaviertel) verändert sich im Zusammenhang mit dem Modus kapitalistischer Verwertung, während ihre Kriterien, d.h. staatliche Kontrolle der Bevölkerung und ökonomische Verwertung, seit der Industrialisierung und der Schaffung von ArbeiterInnengettos wie Fechenheim die Gleichen geblieben sind.

Die Regierung der Stadt

Mit Verwertung und Privateigentum geht stets Konkurrenz einher und die macht auch vor der Stadt nicht halt. Im Kapitalismus entsteht ein wachsender Druck auf Städte, sich gegen Andere im Wettbewerb um Investitionen durchzusetzen. Auch innerhalb der Städte verschärft sich der Konkurrenzkampf, wenn einzelne Stadtviertel zu Marken (Bsp. Nordend) werden und mehr und mehr einstmals öffentlich Räume unter privatwirtschaftliche Verwaltung fallen. Das ist gerade das Ergebnis des kapitalistischen „Erfolgs“ von Städten, die selbst zu profitorientierten Unternehmen werden.

Ein Mittel zur Stärkung der eigenen Konkurrenzfähigkeit ist die sogenannte Gentrifizierung – im Groben die Aufwertung ehemaliger ArbeiterInnenviertel durch den wachssenden Zuzug von besser Verdienenden. Ihr Resultat ist in Deutschland die zunehmende Verdrängung von sozial schwachen Schichten an die Ränder der Stadt, da sie sich die steigenden Mieten in Innenstadtnähe nicht mehr leisten können, und gleichzeitig deren kultureller Isolation durch den Ausschluss aus dem öffentlichen Leben. Die soziale Ausgrenzung und Armut offenbart sich in der räumlichen Ausgrenzung, die ihrerseits wiederum durch den Einsatz von Kontroll-Techniken wie Kameraüberwachung, der Verdrängung als gefährlich wahrgenommener Gruppen aus dem öffentlichen Raum (Junkies aus dem HBf) und dem steigenden Einsatz (auch privater) Sicherheitsdienste politisch reguliert werden soll. Mit der Entwicklung der kapitalistischen Stadt wird nämlich die Notwendigkeit geschafften, die Bevölkerung über Politik zu steuern. Die selbst keine Grenzen kennende Verwertung bedarf stets einer politischen Regulierung um langfristig funktionieren zu können. Die hygienischen Bedingungen, die entstehen, wenn viele Menschen auf engem Raum miteinander leben, müssen ebenso geregelt werden, wie die Zurichtung neuer BürgerInnen- und ArbeiterInnenschichten in Schulen und anderen Erziehungsinstitutionen. Schlägt diese fehl, oder kann sie nicht in allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße umgesetzt werden, benötigt das auskömmliche Sozialleben Strafmaßnahmen und Repression. Grundlage dieser Politik stellt ein ausreichendes Wissen über die Bevölkerung als solche dar: die moderne Wissenschaft (Statistik) hat ihren Ursprung in der Entwicklung städtischen Lebens und findet gegenwärtig mit der Erhebung des Mikrozensus[1] in einer deutlichen Verschränkung von staatlicher und städtischer Bevölkerungspolitik statt.

Stadt als Widerspruch in sich

Auch wenn städtische Imagekampagnen etwas anderes behaupten: Das Leben in den kapitalistischen Metropolen ist niemals widerspruchsfrei. Vielmehr folgt es einer bestimmten Rationalität, die sich bei den unterschiedlichen Subjekten jeweils in verschiedenen Formen äußert: In jeder Stadt gibt es Bankerinnen auf der einen, wie Putzmänner auf der anderen Seite und deren Alltag ist ziemlich verschieden. Denn in der kapitalistischen Stadt kreuzen sich immer verschiedene Herrschaftsverhältnisse (rassistische, sexistische, Klassenherrschaft, etc.), was sich z.B. auch in den subjektiven Wahrnehmungen von Bedrohungslagen zeigt. Wenn die CDU im Wahlkampf „Sicherheit“ verspricht, dann werden die unterschiedlichen Lebensverhältnisse verdeckt. Und wenn die Grünen mit dem Slogan „die Stadt gehört dir“ für sich werben, dann sprechen sie damit nicht uns alle, sondern nur ihr eigenes Klientel an: diejenigen, die sich die Stadt leisten können. Denn während die vollständige Kameraüberwachung von U-Bahnen und Bahnhöfen die gefühlte Sicherheit Einiger bestimmt verstärkt, bedeutet sie im Umkehrschluss weniger Sicherheit für z.B. Obdachlose oder politische AktivistInnen; Während für viele Frauen verlassene und dunkle Orte oftmals auch eine reale Gefahr darstellen können, bieten diese andererseits Schutz vor dem Blick von Ordnungskräften und AktivbürgerInnen; und während Gentrifizierungsprozesse zuerst die Ärmsten in den Vierteln betreffen, fühlen sich viele Linke, Studierende und KünstlerInnen durch ein „bisschen Gentrifizierung“ meist etwas wohler und sind nicht zuletzt selbst maßgeblich Teil dieser Prozesse. Diese Ambivalenzen können nichts erklären, sie können aber verdeutlichen, dass sich in der kapitalistischen Stadt gerade in ihrer selbst vielschichtigen Funktion – als Standort des Kapitals und als Lebensraum der Lohnabhängigen – unterschiedlichste Interessen materialisieren. Eine Kritik an Gentrifizierung und sozialer Verdrängung ist zwar richtig. Sie greift aber zu kurz, wenn sie nicht die eigene Rolle in diesen Prozessen reflektiert. Denn im Rahmen einer kapitalistischen Gesellschaft, in der die Bedürfnisbefriedigung der Menschen nicht vernünftig ausgehandelt, sondern dem Kriterium von Verwertung und Wettbewerb untergeordnet wird, bleibt immer nur die Frage wer wen vertreibt und kontrolliert. Das urbane Glücksversprechen ist im Kapitalismus nicht zu verwirklichen. Nicht neu, aber leider wahr.

Die kapitalistische Stadt ist als Feld linksradikaler Praxis trotzdem interessant, weil sie eine Verdichtung von gesellschaftlichen Brüchen und Möglichkeiten ist. Als Knotenpunkt des kapitalistischen Lebens manifestieren sich in ihr die gesellschaftlichen Zwänge in einer für alle anschauliche Form. Denn neben ihrem Zweck für die Organisation der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Funktion für bevölkerungspolitische Maßnahmen, beinhaltet sie auch immer ein Glücksversprechen an ihre BewohnerInnen. Sie stellt Lebensraum dar und verspricht kulturelle und soziale Angebote, die den Alltag interessanter machen. Und auch die in einer kapitalistischen Produktionsweise zur persönlichen und individuellen Reproduktion so notwendige Verwertung findet gegenwärtig überwiegend in den kapitalistischen Städten statt. Ebenso kann die Anonymität der Metropolen gerade für Illegalisierte und Verfolgte auch den benötigten Schutz bereitstellen. Die kapitalistische Stadt ist damit sowohl Ort von Herrschaft, wie Ort möglicher Alternativen. Die hier sichtbar werdenden Widersprüche prägen das Leben auch von Aktivistinnen, andererseits werden Konflikte widersprüchlicher Interessen deutlich, die wohl auch in einer befreiten Gesellschaft Aushandlungsprozesse  nötig machen. Insofern ist die Stadt Raum unmittelbaren Zwangs und gleichzeitig kollektiver Raum, der das Potenzial hat zum Terrain der Erprobung neuer Formen der Aushandlungen zu werden – Aushandlungen die wenigstens das Versprechen eines utopischen Überschusses beinhalten.

Stadt für Alle!

Die Strategien der Grünen und anderer werden nicht aufgehen, weil die Stadt gegenwärtig weder „dir“ noch „uns“ gehört. Die kapitalistische Stadt ist immer Objekt staatlicher Bevölkerungspolitik, nicht erst in ihrer gentrifizierten Form. Sie ist immer schon durch die Zwänge der Kapitalverwertung strukturiert und ein Ort ihrer notwendigen politischen Regulation. Jede Politik der Integration bedeutet im Kapitalismus daher immer auch Integration in die kapitalistische Verwertung, die Forderung nach einer günstigen Infrastruktur heißt stets auch die Forderung nach rationalerer Verwertung (z.B. durch kürzere Arbeitswege). Die Probleme, die sich in den kapitalistischen Metropolen zeigen, sind somit Ausdruck der Widersprüchlichkeit des Kapitalismus und werden von denen, die ihre Lösung versprechen bereits wieder produziert. Deshalb ist es ebenso ehrenwert wie falsch, die Mitbestimmung in „meiner Stadt“ (Grüne) zu fordern. Das Recht auf Stadt beinhaltet immer den positiven Bezug zum bürgerlichen Recht und damit der Grundlage für kapitalistisches Eigentum. Demgegenüber wollen wir kein staatlich gewährtes oder bürokratisch einklagbares „Recht auf Stadt“, weil dieses auch immer ein Kollektiv der Anspruchsberechtigten und damit gleichzeitig auch Ausgeschlossene produziert. Die Emanzipation von den Zwängen der kapitalistischen Stadt kann nur mit der Perspektive auf eine „Stadt für Alle!“ – d.h. einem Lebensraum, der nicht nach den Zwängen der Verwertung, des Privateigentums und der Standortkonkurrenz organisiert ist, der also niemandem „gehört“, sondern der von allen gestaltet wird – erkämpft werden. Es reicht nicht, die verschiedensten Missstände nur zu beklagen, vielmehr müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen, in Konfrontation zu staatlichen Institutionen und städtischer Bevölkerungspolitik. Denn die Stadt des Kapitals ist verwundbar: kreative Alltagspraxen wie Schwarzfahren, Häuserkämpfe und Besetzungen können die kapitalistische Logik der modernen Stadt empfindlich stören und, wenn sie in kollektive Auseinandersetzungen und längerfristige Organisierungsversuche eingebunden sind, vielleicht sogar erste Schritt in Richtung einer emanzipatorischen Gesellschaft sein.

In diesem Sinn rufen wir dazu auf, euch organisatorisch und aktionistisch in das Netzwerk „Wem gehört die Stadt?“ einzubringen, mit uns am Aktionstag am 11.Juni 2011 deutlich zu machen, dass die Stadt niemandem gehört soll und nicht zuletzt mit uns am 22.Juni die Innenministerkonferenz in Frankfurt zu stören. Erst wenn die Stadt niemandem mehr gehört, wäre sie ein Ort in dem sich zu leben lohnt.

  11. Juni: Aktionstag – Wem gehört die Stadt?

21-22.Juni: Innenminister in Frankfurt!

 Ab jetzt für immer: Stadt für Alle!

 

[1] Der Mikrozensus ist „eine statistische Erhebung, bei der im Gegensatz zur Volkszählung nur nach bestimmten Zufallskriterien ausgewählte Haushalte beteiligt sind. Die Anzahl der Haushalte wird so gewählt, dass die Repräsentativität der Ergebnisse statistisch gesichert ist. Der Mikrozensus dient dazu, die im Rahmen von umfassenden Volkszählungen erhobenen Daten in kurzen Zeitabständen mit überschaubarem organisatorischem Aufwand zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.“ (de.wikipedia.org)