Einige Gedanken zur Demonstration gegen Antisemitismus in Frankfurt am 4. August 2014



In den vergangenen Wochen kam es in Reaktion auf den neuesten Krieg zwischen Israel und der Hamas in Deutschland und diversen anderen Ländern zu vehementen antisemitischen Äußerungen und Demonstrationen; zu Drohungen, Anschlägen und gewalttätigen Angriffen auf Jüd*innen und Juden. Dagegen wollten einige Frankfurter Gruppen, uns inklusive, ein Zeichen setzen. Unter dem Motto „Kein Platz für Antisemitismus! Solidarität mit den Betroffenen!“ haben wir für den 4. August zu einer Demo mobilisiert, die von der Alten Oper durch die Innenstadt zur Konstablerwache ziehen sollte.
Unser Ziel: Gegen den antisemitischen Kurzschluss einer Identifikation jüdischer Menschen mit der Politik der israelischen Regierung deutlich zu machen, dass jemand, der Jüd*innen angreift, weil sie jüdisch sind, damit keine „Kritik“ an irgendeiner Regierungspolitik leistet, sondern antisemitisch agiert – und auch so behandelt gehört.
Eine „bedingungslose Solidarität“ mit der Politik der israelischen Regierung wollten wir hingegen nicht als Ausdruck der Veranstaltung akzeptieren. Unser Vorschlag, auf der Demo insgesamt keine Nationalfahnen zuzulassen, konnte sich im Vorbereitungskreis allerdings nicht durchsetzen.



Es kamen rund 500 Leute, die sich an der Alten Oper die Beine in den Bauch standen. Zuerst musste noch ein buntgewürfeltes Grüppchen RechtspopulistInnen und ukrainischer FaschistInnen verscheucht werden. Das funktionierte, zumindest bei denen die für uns erkennbar waren, ganz gut.
Als die Demo starten sollte, wollte ein Block mit einigen Antideutschen und vielen Israelfahnen nicht loslaufen und schimpfte in unsere Richtung. Sie fühlten sich hinter unserem Hochtransparent etwas unwohl. Es war in vorausschauender Einsicht in die Notwendigkeit einer Abgrenzung gegen antideutsche Vereinnahmung formuliert: „Für eine Welt ohne Antisemitismus, Fundamentalismus, Besatzung und Krieg“. Bei einer gemeinsamen Kundgebung mit dem ehemaligen hessischen Innenminister Boris Rhein und dem Bund Freier Wähler, einige Wochen zuvor, zeigten sie sich anschmiegsamer.
Da stand man also und kam mit einigen demonstrationswilligen Anwesenden ins Gespräch, die den Grund der Verzögerung nicht auf Anhieb verstanden und angesichts der Dringlichkeit des Themas wenig Verständnis für den sektiererischen Zirkus übrig hatten. Schließlich entschieden wir uns mit unserem kleinen antinationalen Block aber ohne das Transparent loszugehen. Wahrscheinlich wollten wir uns an diesem Tag noch weniger einen linksradikalen Autismus nachsagen lassen als ohne gut lesbares Statement vor einem Israelflaggen schwingenden Jubelchor zu laufen.
Da es für ein mediales Zeichen gereicht hatte und wir (und einige andere) zunehmend den Eindruck hatten, dass die Fahnenfraktion die Außenwahrnehmung dominierte, wurde die Demo schon auf halber Strecke, am Paulsplatz, aufgelöst. Danach gingen alle nach Hause bzw. ins Internet.

Für uns ist das historisch singuläre Verbrechen der Judenvernichtung ein wesentlicher, vielleicht der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens über die deutsche Geschichte. Die Gründung Israels steht in direktem Zusammenhang mit der Shoah. Die prinzipielle Solidarität mit dem staatlich und zur Not militärisch gewährten Schutzraum für Jüd*innen aus aller Welt ist für uns eine Selbstverständlichkeit.

Natürlich ist die israelische Flagge Symbol des Staates an sich und nicht per se deckungsgleich mit der je aktuellen Regierung. Gleichzeitig wird sie, wie jede andere Nationalfahne auch, damit identifiziert. Das gilt insbesondere in politisch derart aufgeladenen Situationen wie momentan. Wenn rechte Hardliner in der israelischen Regierung die kriegerische Auseinandersetzung forcieren, auch gegen Teile der eigenen Bevölkerung, dann färbt das notwendig auf die Fahne ab.
Wer eine „bedingungslose Solidarität“ fordert, brüstet sich nur mit der eigenen Unmündigkeit, auch wenn der Gegner Hamas heißt und ein klerikalfaschistischer Haufen AntisemitInnen ist. Die Aufgabe der Emanzipation sieht eine bedingungslose Solidarität mit einem staatlichen Gewaltapparat nicht vor. Die Kritik am Antisemitismus gegen die am Rassismus, die Kritik am westlichen Militarismus gegen jene am Islamismus auszuspielen, ist unsere Sache daher nicht. Unsere Solidarität gehört den fortschrittlichen Kräften auf israelischer und palästinensischer Seite – mögen es mehr werden!

Die Antideutschen übten Anfang der 1990er Jahre – wer weiß es noch nicht? – eine berechtigte Kritik an Antisemitismus in der deutschen Linken und dem wieder erstarkenden Nationalismus. Seither haben sie in weiten Teilen eine zunehmend identitäre Richtung eingeschlagen. Zur Krise des Kapitalismus, zu sich zuspitzenden sozialen Verhältnissen, zur neuen deutschen Vormachtstellung in Europa, zur sozialchauvinistischen Flüchtlingspolitik der EU und zur Konjunktur rechter Krisenideologien bleiben sie stumm.
Doch alle Jubeljahre juchzen sie wieder vor Freude und Häme weil der fortwährend schwelende Konflikt um die palästinensischen Autonomiegebiete in einen Waffengang umschlägt. Wenn der kalte Krieg im Nahen Osten heiß wird, erwachen auch die Antideutschen aus ihrem Winterschlaf. Ihre Methode bleibt immer die gleiche: eine blauweiße Erfolgsgeschichte, ein identitärer Sturm der Liebe, der sich in der Grobschlächtigkeit der Analyse und der billigen Effekthascherei ihrer Possen auf dem Niveau des deutschen Vorabendprogramms abspielt.
In der dogmatischen Eindimensionalität des Weltbildes („Guter Westen hier, böse Barbaren da“) und ihrer selektiven Realitätsverweigerung ähneln sie ihrem erklärten Hauptgegner, den Antiimps. Die führen dasselbe Stück unter anderen Vorzeichen auf („Böser Westen hier, gute Unterdrückte da“).
Auch wenn ihr Bedeutungsverlust innerhalb der an gesellschaftlicher Emanzipation interessierten Linken nur folgerichtig ist, ab und an gelingt den Antideutschen noch ein kleines Kunststück. So auch auf der Demonstration in Frankfurt. Mit ihrem munteren Israel-Fanblöckchen haben sie ihr Ziel erreicht: für eine Weile redet niemand mehr über den Anlass der Demo – antisemitische Angriffe in Deutschland und anderswo – sondern nur noch über sie. Man könnte das mit einigem Recht als Entsolidarisierung mit den Betroffenen der Attacken und als praktische Behinderung eines ernst gemeinten Kampfes gegen Antisemitismus schelten; oder man hält es einfach mit Tucholsky: Satire darf alles.

kritik&praxis – radikale Linke [f]rankfurt, 26. August 2014